Weg vom kolonialen Erbe
Widerspenstig, extrem, scharf
Sie sprechen Morisyen, den französischen Inseldialekt, oder das ostindische Bhojpouri, und natürlich Französisch und Englisch. Sie schreiben über das Leben hinter der paradiesischen Fassade. Und einige von Ihnen kennt man weltweit.
8. April 2017, 21:58
Hüten Sie sich vor dieser Insel: Nachdem Charles Baudelaire von seinem dreiwöchigen Aufenthalt auf Mauritius wieder nach Paris zurückgekommen war, fühlte er sich als anderer Mensch. Eine tiefe Sehnsucht hatte ihn ergriffen, die er zunächst mit Luxus und Vergnügen stillen wollte. Das kostete ihn allerdings sein nicht unbeträchtliches Vermögen, und so konnte er den Rest seines Lebens nur mehr von Mauritius träumen (wovon unzählige Andeutungen in seinen Gedichten zeugen) und darauf hoffen, dass ihn der Tod dereinst in sein Traum-Paradies bringen würde - übrigens ein weiterer Grund für die Behörden, den Gedichtzyklus "Les Fleurs du Mal" und seinen Autor vor Gericht zu bringen. 1857 wurde Baudelaire wegen "Verletzung der öffentlichen Moral" zu einer empfindlichen Geldstrafe verurteilt und durfte einige der bösen Blumen nicht mehr drucken.
Leben von Zucker
Hätten Sie gedacht, dass der Tourismus gar nicht die Haupteinnahmequelle des seit 1968 unabhängigen Staates ist? Immer noch sind die Einnahmen der Zuckerrohrproduktion geringfügig höher, und die Bemühungen der Regierung, das Investment-Bankenwesen auszubauen, waren sehr erfolgreich. Die Bemühungen, Mauritius zu einem Zentrum der Outsourcing-Szene der Telekommunikationsbranche zu machen, haben teilweise auch schon gegriffen. Außerdem hat sich auch die Edelsteinschleiferei zu einem wichtigen Industriezweig entwickelt.
Neues Selbstbewusstsein der Literaten
Ungefähr 150 Mitglieder gehören der MASA an, der Mauritian Society of Authors. Die meisten publizieren in französischer Sprache, und nur wenige in Englisch - was seltsam scheinen mag, denn bevor Mauritius unabhängig wurde, gehörte es von 1810 an 158 Jahre zum Britischen Weltreich. Da fallen die weit zurückliegenden Jahre der 98-jährigen französischen Herrschaft eigentlich kaum ins Gewicht, möchte man meinen.
Zu den wichtigsten Autoren der französischen Szene gehört Khal Torabully. Er erfand das Schlagwort "Coolitude" (abgeleitet vom indischen Kuli) für die Literatur, die auf einen aus Indien stammenden Ursprung verweisen und - parallel zur "Négritude" oder "Tigritude" - ein neues Selbstbewusstsein der Kuli-Nachkommen manifestiert. Er lebt in Lyon, ebenso wie Ananda Devi - die nach ihren eigenen Worten Mauritius vermisst, wo immer sie auch ist - oder auch Nathacha Appanah.
Aus der Politik in die Politik
Weg vom kolonialen Erbe Französisch bzw. Englisch ist das erklärte Ziel einiger weniger Autoren. Sie wollen das Morisyen, die heimische Umgangssprache, als Schriftsprache etablieren. Allen voran: Dev Virashawmy. Er ist auf Mauritius selbst der bekannteste Autor und gilt als Original. Nachdem er im Erziehungsministerium Karriere gemacht hatte, gründete er in Rose Hill seine eigene kleine Schule, in der er in einer Art Nachhilfesystem seinen Schülern zu einer respektablen Aus- und Weiterbildung verhalf. 1966 gründete er mit Gleichgesinnten die oppositionelle Partei Mouvement Militant Mauricien. 1972 war er einige Zeit aus politischen Gründen inhaftiert. Bemerkenswert sind seine Übersetzungen von Shakespeare, Molière oder Saint-Exupery ins mauritische Kreolisch, ins Morisyen.
Wenige Übersetzungen
Die Liste der auf Mauritius geborenen Autoren, die in deutscher Sprache verfügbar sind, ist relativ kurz: Barlen Pyamootoo mit seinem Roman "Benares" (2004) und Nathacha Appanah mit "Blue Bay Palace" (2006). Zieht man die Grenzen nicht ganz so eng, kommen noch zwei dazu: Lindsey Collen, sie wurde in Umtata in der Transkei geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren auf Mauritius, und Jean-Marie Gustave Le Clézio. Ja, das fand ich auch erstaunlich: Er wird von einer Gruppe mauritischer Lokalpatrioten als einer der Ihren beansprucht, weil sich seine bretonischen Ahnen im Herbst 1793 auf Mauritius niedergelassen hatten. Und auch, weil einige seiner Bücher sich mit der Geschichte der Insel und seinen eigenen Wurzeln beschäftigen. Er lebt aber in Frankreich und den USA.
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Buch-Tipps
Nathacha Appanah, "Blue Bay Palace", Lenos Verlag, ISBN 3857873795
Barlen Pyamootoo, "Benares", Verlag Antje Kunstmann, ISBN 3888973511
Lindsey Collen, "Lebenstanz", Lamuv Verlag, ISBN 3889775357
J. M. G. Le Clézio, "Ein Ort fernab der Welt", Verlag Kiepenheuer & Wietsch, ISBN 3462028863
Links
The Mauritian Encyclopedia
Mauritius Society of Authors