Ein Wiener in Berlin
Wodka, Wurst und Vitamine
Man bat mich, über Ernährung zu schreiben. Ich reiste nach Berlin. Neben zwei Dritteln Döner-Buden gibt es dort Fernöstliches, Mediterranes, Indisches. Doch in dem 3,4-Millionen-Heuhaufen finden sich auch Berliner Essnadeln. Für Wiener ist das nichts.
8. April 2017, 21:58
Wie Franz Schuh bin ich sehr undiszipliniert. Eine anständige berufliche Karriere bleibt uns daher verschlossen, er ist Essayist, ich bin beim Radio. Er ist dick und ich bin dünn. Jetzt ist er 60, ich werde dreißig, ich wiege sicher weniger als halb so viel wie er. Nähme man uns auf Einen zusammen, käme trotzdem kein gesundes Mittelmaß heraus (eher wohl ein Eber auf Storchenbeinen oder, entzückend, eine Libelle mit Daumen wie Bürgermeister-Oberarme); wir sind Wiener.
Als solcher war ich kürzlich wieder in Berlin. Franz Schuh war, glaube ich, noch nie aus Österreich draußen. Kein Wunder, dass er kurviger ist als ich, der ich immer auf Achse bin, immer in Bewegung, wie denn auch meine Innereien, die, anders als ich, nie etwas stehen lassen. Doch Wiener er und ich, fressen wir alles runter, jeder auf seine Art. Wir gehen nicht über. Ich lasse eben außerdem immer einen Happen über und fühle mich eigentlich schlecht dabei, kann es aber nicht abstellen, es ist mir eingeboren und schon ganz klein verweigerte ich die Brust und den Brei. Lieber Flasche. Ist bis heute so; wenn mir jemand zur Flasche Bier ein Glas hinstellt, wende ich den Kopf ab und speie gegebenenfalls das Gekaute auf den nächsten Schoß.
Ich fuhr mit dem Auto nach Berlin, um Geld zu sparen und die Umwelt zu schonen, denn das Fliegen ist nicht nur teuer, sondern auch mit zwei bis drei Prozent am allgemeinen Kohlendioxidausstoß beteiligt, weshalb es vom Flugzeugminister sicher bald verboten wird, es gibt doch den Klopeiner See. Oder die Lobau, wenn da jetzt auch bald die Autobahn hin kommt, was ja auch toll ist, weil man dann schneller wieder zu Hause ist. Auf dem Weg nach Berlin aß ich ein deutsches Tankstellen-Käsebrötchen, mit dem ich nicht einmal meinen Hund bestrafen würde, und trank an einer Raststation eine Art Kaffee, wie ihn manche Omis heute noch trinken, wenn ihnen der Blutdruck zu schaffen macht.
Grundsätzlich: Nach Berlin fährt man nicht des Essens wegen. Sofern es der Zunge schmecken soll. Die Zunge ist eine kleine, flinke Ernährungsberaterin und in diesem Sinne eine unbezahlbare Perle vom Zuschnitt einer Winona Ryder; ist aber auch gut für Oralverkehr. Bleibt sie längere Zeit ohne adäquate Reize, wird sie trüb und fällt aus dem Mund. Vor den Fastfood-Lokalen Wiens liegen rattig braune ganze Zungen auf dem Trottoir und alle treten drauf, aber niemand rutscht aus, weil die Dinger die Konsistenz von Bimsstein haben. Berlins Gehwege sind gepflastert mit toten Zungen. Das jedoch nicht deshalb, weil da alle Angst vor AIDS hätten und das Zungenkondom bedauerlicherweise noch nicht erfunden worden ist, sondern wegen des Berliner Essens. Was für eine Logik.
Man muss als Berlinbesucher Currywurst essen. Ich ging zu Konnopke, dort soll es am besten sein. Die Currywurst besteht aus Wurst, die Abwesenheit von Geschmack macht sie interessant. Dazu gibt es mutmaßlich hausgemachtes Ketchup und optional ein Brötchen. Ich bekam Fieber. Dann ging ich eine Waffel essen in einem Lokal namens "Kauf dich glücklich". Ich bekam Schüttelfrost. Am Abend wurde ich noch in "Englers Unikat" geführt, da aß ich Leber. Genauer: Ich ließ sie stehen.
Zwar war die Currywurst billig, auf der Waffel Puderzucker (wie bezeichnend, sagt doch der Wiener Staub zum Puder!) und das Bier zur Leber bayrisch. Dennoch verstimmte das meine an sich polyglotte Zunge, sie brachte keinen geraden Satz mehr hervor und machte Anstalten, sich zu den anderen aufs Trottoir hinzulegen. Also nahm ich meine aparte Berliner Begleitung an der Hand, ging spornstreichs zu ihr nach Hause und nahm dort Wodka, Wurst und Vitamine zu mir. Wurst exakt so, wie man sie auch in Wien erhält. Wenig später ging es uns schon viel besser.
Einem Wiener kannst du alles bedenkenlos verabreichen, so lange es aus Wien ist; denn "jede Sucht ist stärker als die Liebe", wie mein runder Seelenbruder Franz sagt. Ich bin ein halber Schuh.