Wie wir die Familie neu erfinden

Die Schule der Frauen

Iris Radisch, deutsche Kulturjournalistin, Fernsehmoderatorin, Ehefrau und Mutter von drei Töchtern macht sich Gedanken über die Zukunft der Familie. Und das ziemlich schonungslos und mit entwaffnender Ehrlichkeit.

Wenn wir in den letzten paar tausend Jahren unsere Bevölkerungszahl erhalten und sogar steigern konnten, so war das möglich, weil Frauen unterdrückt und benachteiligt wurden.

Ein schmerzhafter, wahrhaftiger Satz ist das, mit dem die deutsche Kulturjournalistin, Fernsehmoderatorin, Ehefrau und Mutter von drei Töchtern, Iris Radisch, ihr Buch "Die Schule der Frauen" beginnt. Wie überhaupt dieses Buch, das auch ein Resümee des bisherigen Lebens der Karrieremutter Radisch darstellt, von entwaffnender Ehrlichkeit geprägt ist.

Zu hoher Preis

Nun, da wir eine der großartigsten Errungenschaften der Moderne, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, in unserem Dasein verankert haben, habe sich die schmerzhafte Wahrheit nämlich ins Gegenteil verkehrt: Seitdem die Frauen den Preis für die Kinder nicht mehr zahlen wollen, gäbe es immer weniger Kinder. Der Feminismus habe keine Antwort auf die Kinderfrage hinterlassen, schreibt die 47-jährige Radisch, das Patriarchat die falsche.

Wir stecken in einer Sackgasse: Da, wo wir sind, werden wir immer weniger, dorthin, wo wir herkommen, können wir nicht mehr zurück. Auch wenn konservative männliche Familienpropagandisten vom Schlag eines Frank Schirrmachers oder Apologetinnen einer seltsamen neuen Weiblichkeit wie die deutsche TV-Ansagerin Eva Hermann gern auf die Restauration der Mutti-kocht-Vati-arbeitet-Ehe pochen: Das Patriarchat sei heutzutage eher ein Garant für hohe Scheidungsraten als für Kindersegen, stellt Radisch nüchtern fest.

Wir brauchen also einen dritten Weg, so Iris Radisch, der uns herausholt aus dem halsbrecherischen Spagat zwischen gefühlter und wirklicher Welt. Wir, die wir heute leben und Kinder haben oder wollen, müssen ein Leben führen, das kein Vorbild kennt.

Familienfeindliche Arbeitswelt

Wenn die rhetorisch brillante Journalistin von lebensrückstandsfreien Wohnzimmern und der Liebeskatastrophe im konsumistischen Wellnesszeitalter spricht, dann erzählt sie auch immer ihre eigene Geschichte. Radisch selbst wurde nach ausgedehnten Studien und jahrelanger Erwerbstätigkeit erst mit 36 Jahren zum ersten Mal schwanger. Vor der Geburt des zweiten Kindes verabschiedete sich ihr damaliger Partner und suchte sich "ein künstliches und kinderloses Paradies", wie sie schreibt. Ohne Schönfärberei erzählt sie, wie die nach ökonomischen Gesetzmäßigkeiten getaktete Arbeitswelt mit dem lebendigen, unvorhersehbaren Familienleben unangenehm kollidiert.

Zeit, im älteren Sinn des Wortes, hat fast niemand. Zeit, die man nicht benutzt und absolviert und vor den Karren irgendeines kurzfristigen Zweckes spannt, sondern Zeit, die sich ereignet. Wenn es wahr ist, dass Erziehung durch das geschieht, was gerade geschieht, und nicht durch das, was beabsichtigt ist, kann man davon sprechen, dass wir unsere Kinder im Doppelernährerhaushalt überhaupt nicht erziehen.

Verlogene Mythen

Iris Radisch kritisiert harsch den Verlogenheitsmythos der Vereinbarkeit von Kind und Karriere - denn davon profitiere immer nur die Arbeitswelt, nach der sich die Familie zu richten habe, egal, mit welchen Kinderkrankheiten, Bastelarbeiten oder anderen nicht unmittelbarem Nutzen zuordenbaren Tätigkeiten wie Steine schmeißen oder Zweige im Wald suchen sie gerade beschäftigt ist.

Iris Radisch spart aber auch nicht an ausgedehnter Kritik an den sich davon stehlenden Männern, die sich endlich bewegen müssten, soll das System Familie nicht endgültig kollabieren: sie müssten die männliche Hälfte der Welt mit uns Frauen teilen und die weibliche Hälfte endlich erobern.

Hoffnung für die Zukunft

Keine Frage: Die Familie hat den Übergang ins 21. Jahrhundert noch vor sich. Womit wir beim Kern des Buches angekommen sind: beim optimistischen Appell, die Familie gemeinsam neu zu erfinden, denn allen Widrigkeiten zum Trotz stelle die Familie immer noch ein Gegenmodell zur Allgewalt der Ökonomie und Beschleunigung dar. Lösungen kann auch die Autorin nicht anbieten, gesichert ist jedoch: Die Zeiten, in denen die Gefangenschaft unserer Mütter und Großmütter in ihren Hausfrauenleben sich in ein Gemälde der Selbstlosigkeit und natürlichen Bescheidenheit umpinseln ließen, seien endgültig vorbei.

Die Zukunft, die ich meinen Töchtern wünsche, wird anders aussehen. Wenn wir es wollen, wird es nicht mehr heißen, eins ist zu wenig und beides ist zu viel. Dann gibt es Freiheit. Liebe, Arbeit und Kinder, diese drei werden sich nicht länger ausschließen.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Iris Radisch, "Die Schule der Frauen. Wie wir die Familie neu erfinden", DVA, ISBN 978-3421042583