Zwischen Geistes- und Naturwissenschaften

Was ist der Mensch?

Der deutsche Philosoph Michael Pauen nimmt den seit Jahrzehnten andauernden Konflikt zwischen Geistes- und Naturwissenschaften auf und beschäftigt sich damit, ob wir auf Grund von aktuellen Erkenntnissen unser bisheriges Menschenbild revidieren müssen.

Der Konflikt zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften sitzt tief und ist keineswegs neu: Während die einen von Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Willensfreiheit sprechen, suchen die anderen nach messbare Daten und Fakten. Für den Philosophieprofessor Michael Pauen ist das dennoch kein Gegensatz:

Tatsächlich, so lautet die zentrale These dieses Buches, beruht die Vorstellung eines Dilemmas von Naturalismus und Menschenbild auf einem prinzipiellen Missverständnis. Es gibt also keinen prinzipiellen Konflikt zwischen Naturalismus und Menschenbild - ganz im Gegenteil: Weit entfernt davon, die zentralen menschlichen Fähigkeiten in Frage zu stellen, erklärt der Naturalismus nur, wie sie zustande kommen. Die Entdeckung der Natur des Geistes verschafft uns die Aussicht auf ein besseres Verständnis der für uns zentralen Fähigkeiten. Das bedeutet auch, dass der Unterschied zwischen dem Menschen und der außermenschlichen Natur durch eine wissenschaftliche Erklärung nicht etwa nivelliert wird, vielmehr helfen uns die Wissenschaften, diesen Unterschied besser zu erfassen.

Kopernikus auf den Kopf gestellt
Michael Pauen weigert sich den Erklärungen vieler Kollegen zu folgen und von einer Geschichte der Kränkungen zu sprechen. Denn es sei zwar richtig, dass das Menschenbild seit dem 19. Jahrhundert mit Philosophen wie dem Deutschen Friedrich Nietzsche verändert hat. Allerdings hätten sich nicht die Unterscheidungen selbst gewandelt, sondern lediglich die Erklärungen dafür.

Als Beispiel dafür skizziert Michael Pauen die Idee der Kopernikanischen Kränkung, die er als Mythos entlarvt. Denn, so der Autor, der preußische Astronom Nikolaus Kopernikus habe keineswegs die Stellung des Menschen in der Mitte des Kosmos verdrängen wollen, vielmehr sei sogar das Gegenteil der Fall gewesen:

"Das Bild unterschlägt nämlich die hierarchische Struktur des mittelalterlichen Kosmos. Und in dieser Struktur stand die Erde auf der untersten, sublunaren, das heißt noch unter dem Mond befindlichen Stufe der kosmischen Ordnung, - so wie es der Wahrnehmung des irdischen Beobachters entsprach, der Mond und Sterne über sich sah. Die Erde steht ganz unten, sie ist der "Bodensatz" der Welt und "hat die gröbste und finsterste Substanz aller Körper". Der Nachweis, dass die Erde ein Planet ist, führt daher zu deren Erhebung auf eine höhere Stufe der kosmischen Hierarchie."

Was kann Forschung leisten?
Auf der Suche nach der Antwort, ob bewusste geistige Prozesse sich rein physisch abspielen oder ob tatsächlich etwas Nichtphysisches hinzutritt, stellt Michael Pauen sich auch die Frage, ob die Forschung überhaupt in der Lage ist, eine solche Verbindung herzustellen. Dies zu klären, verlangt nicht nur viel Zeit und Aufwand, sondern es fehlt möglicherweise auch noch an entsprechenden technischen Möglichkeiten.

Ähnlich sieht es bei der Erforschung der sozialen Intelligenz aus. Denn auch wenn laufend neue Erkenntnisse gewonnen werden, sind diese sehr klein in Anbetracht dessen, was es noch zu erforschen gilt. So konnte - um nur ein Beispiel zu nennen - ein Zusammenhang zwischen der Größe des Gehirns, im speziellen des Neokortex, der 90 Prozent des Großhirns ausmacht, und der Interaktion mit Umwelt und Artgenossen entdeckt werden. Studien haben gezeigt, dass Primaten mit einem größeren Kortex eher zu Täuschungsmanövern fähig sind. Bei einer Untersuchung mit polygamen Primaten hat sich etwa herausgestellt, dass dominante Männchen zwar prinzipiell imstande sind, rangniedere Männchen an einer Paarung zu hindern. Allerdings schaffen es jene mit großem Neokortex häufig, ihre körperliche Unterlegenheit mit sozialen Strategien zu kompensieren.

In diesem und in anderen Beispielen sieht der Philosophieprofessor Michael Pauen den zündenden Beweis für seine These der sich ergänzenden Vereinbarkeit von Naturalismus und Menschenbild.

Klare Positionen
Möglicherweise unterschätzt Michael Pauen mit seinen in "Was ist der Mensch" vertretenen Theorien die Erkenntnisse, welche die Hirnforschung bisher erlangt hat und in den kommenden Jahren noch erzielen wird. Möglicherweise verhält es sich aber auch umgekehrt und der geschichtlich vorgezeichnete Weg setzt sich fort und die Neurowissenschafter irren sich, wenn sie davon sprechen, dass uns aufgrund ihrer Fortschritte in den kommenden Jahren ein totales Umdenken erwarte.

Der erfahrene Buchautor, der schon mehrere Werke über die Diskussion von Neurowissenschaften und Philosophie geschrieben hat, schafft es jedenfalls seine Position mit Nachdruck zu vertreten. Ein flüssiger Stil, interessante Beschreibungen und detaillierte Erklärungen laden nicht nur zum Lesen ein, sondern auch dazu, künftige Entwicklungen mit Interesse zu verfolgen.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag 9:45 Uhr

Buch-Tipp
Michael Pauen, "Was ist der Mensch?", Dva-Verlag, ISBN 9783421042248