Die Zukunft der Familie - Teil 1

Netzwerk Familie

Am Beginn des 21. Jahrhunderts werden in den westlichen Industriestaaten die Geschlechterrollen neu definiert. Lebenspartner werden oft durch Lebensabschnittspartner ersetzt. Patchworkfamilien stellen ihre Mitglieder vor neue Herausforderungen.

Die Therapeutin Carmen Unterholzer vom Institut für Familientherapie definiert Familie als ein Netz an intensiven Beziehungen. Verändert sich ein Familienmitglied, greift dies bereits in das ganze System ein.

In ihre therapeutische Praxis kommen Eltern, die im Zusammenleben mit ihren Kindern auf scheinbar unüberbrückbare Schwierigkeiten stoßen. Und immer wieder ist sie mit einem Idealbild von Familie konfrontiert, an dem die einzelnen scheitern.

Neue Muster

Ein Mythos, der Familie anlastet, ist das Zusammenleben mehrerer Generationen unter einem Dach. Dies sei historisch gesehen in Europa jedoch eine neue Entwicklung, erklärt die Familiensoziologin Rosemarie Nave-Herz von der Universität Oldenburg.

Die Dreigenerationenfamilie ist ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Denn in Europa habe man in vorindustrieller Zeit spät geheiratet. Die Lebenserwartung war auch wesentlich geringer als heute. Familien, die heute bis zu vier Generationen vereinen, müssen neue Strategien im Zusammenleben entwickeln, da sie auf keine konkreten Vorbilder zurückgreifen können.

Das Verhältnis zwischen den Generationen hat sich jedoch entscheidend verändert. Denn das Pensionsversicherungssystem erlaubt es heute vielen alten Menschen, in einem - wenn auch bescheidenen - Wohlstand zu leben. Bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts waren viele alte Menschen von der ökonomischen Unterstützung ihrer Familienangehörigen abhängig. Die heutigen Senioren sind jedoch mehrheitlich gut abgesichert.

Transferleistungen zwischen den Generationen

Die gesellschaftliche Umverteilung habe innerhalb der Familien schon längst stattgefunden, erklärt Rosemarie Nave-Herz, denn gleichgültig, wie gering das Einkommen der ältesten Generation ist, sie gibt immer einen Teil an die nächste Generation weiter. Vererbt wird im Kaskadenmodell. Enkel und Urenkel erhalten projektbezogene Unterstützung.

Mythos des einsamen Alten

Die Vorstellung, dass in der modernen postindustriellen Gesellschaft vor allem die alten Menschen isoliert leben, kann die Familiensoziologin Rosemarie Nave-Herz von der Universität Oldenburg nicht bestätigen. Das Unterstützungssystem im Netzwerk Familie funktioniert gut, und zwar sowohl in der Kinderbetreuung wie in der Altenpflege.

80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen werden heute von Familienangehörigen versorgt, auch dann, wenn die Generationen räumlich getrennt leben. Familien sind ein Solidaritätsverband. Räumliche Entfernungen werden oft mit Hilfe der modernen Telekommunikation überwunden.

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Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 22. Jänner, bis Donnerstag, 25. Jänner 2007, 9:05 Uhr

Buch-Tipps
Rosemarie Nave-Herz, "Ehe und Familiensoziologie. Eine Einführung in Geschichte, theoretische Ansätze und empirische Befunde", Juventa Verlag 2006, ISBN 9783779917120

Eli Zaretsky, "Die Zukunft der Familie. Über Emanzipation und Entfaltung der Persönlichkeit", Campus Verlag 1978, ISBN 9783593323343