Über das Zusammenleben der Volksgruppen

Ein geteiltes Haus

Vor den Wahlen in Serbien und der Entscheidung hinsichtlich Unabhängigkeit des Kosovo ist derzeit nur wenig über die derzeitige Situation in Bosnien-Herzegowina zu hören. Man könnte glauben, das dortige Leben hätte sich normalisiert. Ein Irrglaube.

Über Bosnien-Herzegowina spricht man in letzter Zeit nur sporadisch. Daher könnte der Eindruck entstehen, die Situation in dieser Republik am westlichen Teil der Balkanhalbinsel hätte sich normalisiert. Nach einem Bericht des IWPR, des Institute for War and Peace Reporting in London, sieht das aber ganz anders aus.

Die Gesetze der Thermodynamik

Der polnisch-englische Mathematiker Jacob Bronowski bringt die Situation im heutigen Bosnien-Herzegowina auf den Punkt. In seinem Buch "The Common Sence of Science“ leitet er die Analogien der Thermodynamik auf die menschliche Gesellschaft ab:

Die heutige Gesellschaft bewegt sich unter dem gleichen materiellen Druck, wie sich der Gas-Strom bewegt. Im Durchschnitt gehorchen die Individuen diesem Druck, aber in jedem Moment kann jeder Mensch - wie ein Gas-Atom - mit oder gegen den Strom bewegt werden.

Die Medien schweigen

Diesen Sätzen von Jacob Bronowski folgend, erhalten wir vielleicht ein besseres Bild von der momentanen Situation im Land. Denn wenn aus Bosnien-Herzegowina etwas in den Medien zu lesen ist, dann sind es Berichte und Bilanzen über Tätigkeiten internationaler Organisationen, die "ihr Bestes geben“.

Presseinformationen beschränken sich hauptsächlich auf offizielle Bulletins über Geschehnisse "auf höherer Ebene“. Die "kleinen Dinge des Lebens“, wie etwa die fast täglichen Morde und Angriffe auf Mitglieder ethnischer Gemeinden, bleiben unberücksichtigt. Auch über die Rückkehr der Flüchtlinge - ein Thema das nun elf Jahre nach Kriegsende noch immer hoch aktuell ist - erfährt nur wenig, über die tausenden Vermissten noch weniger.

Institute for War and Peace Reporting

Umso überraschender war ein Text auf der Website des IWPR, des Institute for War and Peace Reporting in London, der in dieser Woche veröffentlicht wurde. Unter dem Titel "Bosnia: A House Divided“ - "Bosnien: ein geteiltes Haus“ - hat sich die niederländische Journalistin Katherine Boyle mit Menschen und ihren Schicksalen auseinandergesetzt und daraus eine sehr düstere Prognose erstellt.

Die Interviews konzentrieren sich auf Zentral-Bosnien von der nordbosnischen Stadt Prijedor bis nach Sarajewo. Es sind bewegende Geschichten über die in dieser Region schwer in Mitleidenschaft gezogenen ethnischen Beziehungen zwischen Moslems und Serben. Denn die Gesellschaft in Bosnien-Herzegowina bewegt sich noch immer weitab von Normalität. Ethnische Diskriminierungen sind nach wie vor präsent. Die Bürger sehen ihrer Zukunft nur mit geringer Hoffnung entgegen. Da helfen auch keine beschönigenden Worte der EU, sich wirtschaftlich mehr und effizienter in diesem Land zu engagieren.

Politisches Misstrauen

Aus einer repräsentativen Umfrage im Internet Portal 24sata geht hervor, dass die Menschen in Bosnien-Herzegowina auch ihren Politikern nicht viel Glauben schenken. Mehr als 73 Prozent denken, dass sie nur in ihrem eigenen Interesse - "für die eigenen Fauteuils“ - handeln. Nur 11,6 Prozent glauben, dass sich die Politiker ihrem Land und ihrer Bürger - unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit - widmen.

Die Lage in Bosnien-Herzegowina hängt aber nicht nur von lokalen Politikern ab, sondern vielmehr vom Versagen internationaler Organisationen, die schon in den 1990er Jahren nicht fähig waren, den Krieg zu verhindern. Konnte man jedoch damals die Verantwortung für den Zerfall der multikulturellen Gemeinde in diesem Land vielleicht noch auf den gegenseitigen Hass ihrer Bürger schieben, muss man allerdings heute - elf Jahre danach - von gemeinsamer Verantwortung sprechen.

Mehr zu Bosnien-Herzegowina in oe1.ORF.at

Links
IWPR - Institute for War and Peace Reporting
24sata