Der hochkarätige Handel mit Glitzersteinen
Schauplatz "Diamantwerpen"
Nicht länger als 200 Meter ist die Hovenierstraat im Diamantenbezirk von Antwerpen. Auf dieser Strecke werden pro Tag mehr Diamanten getragen als am Wiener Opernball, denn nicht weniger als 80 Prozent aller Rohdiamanten der Welt werden hier gehandelt.
8. April 2017, 21:58
Ari Lieber und Dilip Mehta zur Situation in Antwerpen
Rund 30 Milliarden Euro schwer ist der Weltmarkt mit Diamanten. Ein großer Teil davon wird in Antwerpen, in einer kleinen Seitengasse umgesetzt. Doch das so konservativ scheinende Geschäft mit Diamanten wird von Turbulenzen gebeutelt.
Der einstige Monopolist De Beers ist im Visier der EU, billige Diamantenschleifer in Asien sind eine bedrohliche Konkurrenz und Inder verdrängen immer mehr die einst führenden jüdischen Diamantenhändler. Mit Diamanten werden aber auch Bürgerkriege in Afrika finanziert. Das macht die Branche in Antwerpen nervös.
Auf den Schliff kommt es an
Ari Lieber, Geschäftsführer des über 70 Jahre alten jüdischen Familienbetriebs Krochmal & Lieber, balanciert einen Diamanten auf der Fingerspitze. 65 Facetten weist er auf. Der Wert: 250.000 Euro. "Er ist anders," sagt er: "Viele Kunden wollen sich auch durch den Schliff ihrer Diamanten von anderen Käufern unterscheiden.
Ein guter Schliff kann einen Diamanten schon um die 100.000 Euro aufwerten. Der Antwerpen-Schliff ist immer noch der beste Diamantenschliff der Welt, obwohl es in Indien und in China viel billigere Diamantschleifer gibt. Dies sei auch einer der Gründe, so Lieber, warum die Konkurrenz in den letzten Jahren härter geworden ist.
Die Diamantenhauptstadt
Nicht länger als 200 Meter ist die Hovenierstraat im Diamantenbezirk von Antwerpen, unmittelbar hinter dem Hauptbahnhof. Auf diesen 200 Metern werden pro Tag mehr Diamanten getragen als am Wiener Opernball. 80 Prozent aller Rohdiamanten der Welt werden hier gehandelt. Die Hiovenierstraat ist die sicherste Straße Europas: mit vier Diamantenbörsen, mit Spezialbanken für den Diamantenhandel und mit Transportfirmen sowie Versicherungen. Überall sind Kameras zu sehen.
Rund um die Diamantenbörsen haben sich im Laufe der Zeit zahllose Diamantenschleifereien angesiedelt, viele davon in jüdischem Besitz. Die wichtigste Hafenstadt Belgiens war in den letzten 200 Jahren nahezu der einzige Platz in Europa, wo Juden jederzeit willkommen waren. Doch der Handel hat sich in den letzten Jahren verändert. Internationalisierung und Globalisierung haben auch in der flämischen Diamantenmetropole den Markt durcheinander gewirbelt.
Inder im Vormarsch
Die Konkurrenz wächst und wächst. Die Vormachtstellung der jüdischen Händler scheint gebrochen, denn die Inder sind drauf und dran, ihre Kollegen zu überflügeln. Mehr als die Hälfte der Diamantenhändler sind bereits Inder. Sie kontrollieren 70 Prozent des Diamantenhandels in der Hovenierstraat. Und sie lassen gern in Bombay oder in China schleifen, wo die Arbeit verglichen mit Antwerpen nur einen Bruchteil kostet.
Einer von ihnen ist Dilip Mehta, Chef von Rosy Blue, eines der größten Diamantenkonzerne der Welt - mit 10.000 Mitarbeitern in 16 Ländern, mit Brokern in Antwerpen, Verkäufern in Dubai und Qatar und mit Schleifern in Indien und China. Aber nicht nur die billigen Arbeitskräfte in diesen Ländern schüren den Wettkampf der Händler.
Die Blutdiamanten
Seit Jahren schon steht das Diamantengeschäft im Verdacht, Bürgerkriege in Afrika zu finanzieren. Die Diamantenminen im Kongo, in Sierra Leone oder in Angola waren zugleich oft Kriegsgrund und Kriegskasse. Solche Diamanten tauchten oft auch in Antwerpen auf. Minengesellschaften, Regierungen und Händler einigten sich daher auf die so genannten Kimberley-Zertifikate, benannt nach der südafrikanischen Diamantenstadt Kimberley. Sie sollen seit Jänner 2003 durch Herkunftsnachweis sicherstellen, dass keine "Blutdiamanten" mehr auf den Markt kommen.
Aber in Westafrika - zwischen der Elfenbeinküste und Ghana - hat sich ein lebhafter Schmuggel mit Diamanten entwickelt. In Ghana haben die blutigen Diamanten aus dem Nachbarland dann das begehrte Zertifikat erhalten, berichtet die UNO. Trotzdem bedeutet das Kimberley-System einen Fortschritt, sagen die Händler; der Anteil der Blutdiamanten sei auf ein Prozent am Markt gesunken.
EU übernimmt Vorsitz
Seit Inkrafttreten der Kimberley-Zertifikate ist das Kontrollsystem immer weiter verbessert worden. So wurde etwa eine umfassende Überwachung mit Kontrollbesuchen vorort eingeführt. Nach Südafrika, Kanada, Russland und Botswana übernimmt nun ab 1. Jänner 2007 die EU den Kontrollvorsitz für ein Jahr - mit dem Ziel, eine noch wirksamere Bekämpfung des unlauteren Diamantenhandels durchzusetzen.
Die zuständige Kommissarin Benita Ferrero-Waldner meint dazu: "Wir müssen diese Einkommensquelle der Kriegstreiber trocken legen und erreichen, dass Diamantenkäufer in der ganzen Welt sicher sein können, damit es nicht zu diesem furchtbaren Geschäft kommt."
Auswirkungen auf Handel noch gering
Die Zeiten, in denen der südafrikanische Diamantenkonzern De Beers in den 1980er Jahren mit 80 Prozent Anteil praktisch den Weltmarkt kontrollierte, sind jedenfalls vorbei. Als sich De Beers mit den Russen verbündete, schritt schon damals die EU-Wettbewerbsbehörde ein. Nicht zur Freude aller Händler in Antwerpen, die es lieber vermieden hätten, dass sich die EU in das diskrete Geschäft einmischt.
Die Diskussion um die Blutdiamanten hat das Geschäft in Antwerpen allerdings bis jetzt nur wenig beeinträchtigt: Diamanten kann man nicht über's Internet handeln wie etwa Aktien, Öl oder Gold. Diamanten muss man in die Hand nehmen, den Glanz und das Feuer prüfen; und dafür braucht man keinen virtuellen Marktplatz, sondern einen echten - wie eben "Diamantwerpen".
Hör-Tipp
Saldo, Freitag, 29. Dezember 2006, 9:45 Uhr
Download-Tipp
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Links
Diamond Land - Antwerpen - die Diamantenstadt
EU-Kommission - The EU and the Kimberley Process
Kimberley Process
Krochmal & Lieber
Antwerp Diamond House
Rosy Blue
De Beers
Stad Antwerpen