Biografie von Gadi Blum und Nir Hefez
Ariel Scharon
Sein Leben ist untrennbar mit dem Aufstieg Israels verbunden, und sein höchstes Ziel, dem er alles andere unterordnete, war: größtmögliche Sicherheit für die jüdische Bevölkerung: Ariel Scharon. Gadi Blum und Nir Hefez haben seine Biografie verfasst.
8. April 2017, 21:58
Ariel Scharon wurde in den Krieg hinein geboren. Seine Familie lebte im kooperativen Dorf Kfar Malal und befand sich in einer Dauerschlacht mit den anderen Dorfbewohnern. Vater Samuel Scheinerman war ein elitärer, arroganter Kapitalist, der die sozialistischen Dorfversammlungen mied und als einziger einen Zaun um sein Haus zog. Als die Versammlung beschloss, dass alle Familien einen Teil ihres Landes für die Gründung eines neuen Dorfes abgeben sollten und das abzutretende Land von Scharons Familie durch Drähte markiert hatte, zog seine Mutter Vera zu Felde.
Nach Einbruch der Dunkelheit zog sie ihre Stiefel an, schnappte sich ihr Gewehr und eine Zange und rannte die zweieinhalb Kilometer zum Weinberg. Dort schnitt sie den über drei Kilometer langen Zaun durch. Diese militante Aktion seiner Mutter symbolisierte für Scharon eine kompromisslose Haltung, einen Kampf um Grenzen und Initiative. In den sechs Jahrzehnten, in denen Scharon mit und ohne Uniform dem israelischen Staat diente, hat er sich immer ähnlich verhalten wie damals seine Mutter.
Mit Waffen aufgewachsen
Nur im gemeinsamen Kampf gegen arabische Terroristen fühlte sich Scharon endlich der Dorfgemeinschaft zugehörig. Der Bub verehrte seinen Vater, der immer eine Pistole im Gürtel trug und ihn bereits mit zehn Jahren die Obstplantagen bewachen ließ, während die anderen Kinder spielten. Kein Wunder also, dass Scharon 27 Jahre in Uniform verbrachte und an vier Kriegen teilnahm. Diese Zeit, in der Scharon Charisma und Brutalität demonstrierte, widmen die Autoren nur ein Drittel ihrer umfangreichen Biografie.
Scharon, der seine englischsprachige Autobiografie "Warrior" titulierte, kämpft seit Januar 2006 um sein Leben und liegt im künstlichen Koma. Seine erste deutsche Lebensgeschichte heißt lapidar "Ariel Scharon - Die Biografie" und wurde von Gadi Blum und Nir Hefez, zwei israelischen Journalisten, verfasst.
Liebe zur Macht
Scharons Gönner war Israels Staatsgründer David Ben Gurion. Dieser rettete zum Beispiel seine militärische Karriere nach dem blutigen Massaker im Dorf Kibbija 1953, wo Scharons Einheit Häuser sprengte, in denen sich Alte, Frauen und Kinder versteckt hatten. Ben Gurion, der Scharon seinen hebräischen Namen aussuchte, notierte in seinem Tagebuch:
Der Mann ist ein origineller Kopf. Wenn er nicht mehr gewohnheitsmäßig lügen würde, wäre er ein außerordentlicher militärischer Führer.
Scharon war überwiegend Politiker. Aber Scharon war niemals von einer festen Ideologie motiviert, er tat nur so. "Seine Liebe zur Macht war häufig ausschlaggebend", stellen seine Biografen fest.
Widersprüchlicher Politiker
Die Liste von Scharons Ambivalenzen ist lang. Er ließ die Siedler aus dem Sinai vertreiben, um ein Friedensabkommen mit Ägypten zu ermöglichen, aber wenig später ermöglichte er ihnen, sich im Gazastreifen niederzulassen. 2005 wird er sie zum zweiten Mal evakuieren lassen. Scharon war für und gegen eine Sicherheitsmauer im Westjordanland, für israelische Vergeltungsaktionen gegen den Irak im Golfkrieg 1991, als Jitzhak Schamir Premierminister war, aber dagegen im Golfkrieg 2003 als er selbst das Amt ausübte.
Alle Politiker lieben die Macht und die meisten vergessen ihre Kampfparolen in der Opposition, sobald sie das Land regieren. Zum Verständnis des Politikers Scharon trägt die Biografie daher nur wenig bei. Von Fakten geradezu überfrachtet, die für den deutschen Leser nicht näher erläutert werden, sucht man vergeblich nach einer These. Die Geschichte wird chronologisch und nicht thematisch erzählt. Oft werden dadurch mehrere Themen abwechselnd in einem Kapitel behandelt, was die Orientierung erschwert.
Die Israelis fragen zu Recht: Warum gab Scharon den Palästinensern Land ab, und dazu noch einseitig? Hat er sein Weltbild geändert? Oder wollte er gerade dadurch die meisten jüdischen Siedlungen im Westjordanland retten? Eine fundierte Antwort geben die Autoren nicht. Sie vermuten, dass er eher sein Image aufpolieren und nicht als Krieger in die Geschichte eingehen wollte. Aber davor wird ihn nicht einmal diese schmeichelnde Biografie bewahren können.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
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Buch-Tipp
Gadi Blum, Nir Hefez, "Ariel Scharon. Die Biografie", übersetzt von Helmut Dierlamm und Hans Freundl, Verlag Hoffmann und Campe, ISBN 978-3455500028