Der Islam und der Westen - Teil 2

Die Vorurteile der anderen

Der umstrittene Besuch des Papstes in der Türkei hat es wieder deutlich gezeigt: Ängste und Vorurteile gibt es nicht nur im Westen über den Islam, sondern auch umgekehrt; geschürt werden sie durch scheinbare Überlegenheit und ein starkes Gefühl der Ohnmacht.

“Why do they hate us?" - "Warum hassen sie uns?" hat George Bush nach dem 11. September 2001 immer wieder gefragt. "Die Menschen in den islamischen Ländern hassen die Menschen im Westen nicht. Im Gegenteil! Sie schätzen die Werte, die ihrer Meinung nach den Westen ausmachen: Menschenrechte, Demokratie, Frauenrechte etc. Sie sind aufgebracht, weil der Westen diese Werte nur für sich selber haben möchte. Sie haben den Eindruck, dass mit zweierlei Maß gemessen wird“, entgegnet die iranisch-deutsche Islamwissenschafterin Katajun Amirpur.

Der umstrittene Besuch des Papstes in der Türkei Ende November hat es wieder deutlich gezeigt: Ängste und Vorurteile gibt es nicht nur im Westen über die islamische Welt, sondern natürlich auch umgekehrt; auf beiden Seiten also.

Starkes Gefühl der Unterlegenheit

Durch Kolonialherrschaft sowie wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten sei in den islamischen Ländern ein starkes Gefühl der Unterlegenheit entstanden, sagt Udo Steinbach, der Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg, und fügt hinzu:

"Ich bin sicher, dass dieses Gefühl der Unterlegenheit eine Erklärung für radikale und auch extremistische Reaktionen in der islamischen Welt bietet.“

Sayyid Qutb

Um aus religiösen Gefühlen eine politische Agenda oder ein politisches Programm zu machen, brauche es Vordenker, betont Udo Steinbach und nennt den Namen Sayyid Qutb. Sayyid Qutb wurde 1906 in einem ägyptischen Dorf mit christlicher und muslimischer Bevölkerung geboren und gilt als wichtiger Theoretiker der auch heute noch einflussreichen "Muslimbruderschaft". Er war Vordenker im Kampf für die weltweite Einführung der Scharia, der religiösen Pflichtenlehre des Islam. Die Scharia strebt die Regelung aller Bereiche des menschlichen Daseins an. Nach abendländischem Verständnis umfasst sie sowohl moralische als auch juristische Komponenten.

Der Gedanke der Gottesherrschaft ist nach den Worten von Udo Steinbach im Denken Sayyid Qutbs der zentrale Punkt. Seiner Meinung nach ist die Gottesherrschaft mit der Geltung der Scharia gleichzusetzen. Diese religiöse Pflichtenlehre sollte mittels Dschihad zur Herrschaft gebracht werden. Sayyid Qutb wurde bekanntlich 1966 in Ägypten zum Tod verurteilt und gehängt.

Verhältnis dramatisch verschlechtert

Sayyid Qutbs weltweite Revolution zur Verwirklichung der Gottesherrschaft sei zum Beispiel bei Osama bin Laden und seinen Mitstreitern auf fruchtbaren Boden gefallen, weist Udo Steinbach auf die zahlreichen Terrorakte hin. Im Westen wachse seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York die Angst vor dem Islam. Insgesamt, so, stellt der Islam-Experte fest, hätte sich das Verhältnis zwischen dem Westen und der islamischen Welt in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert.

Die iranisch-deutsche Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur bemerkt in den islamischen Ländern auch angesichts der scheinbaren Überlegenheit des Westens ein starkes Gefühl der Ohnmacht. Dies sei ein guter und auch gefährlicher Nährboden für Ängste und Vorurteile, unterstreicht sie.

Touristen, die USA und der Antisemitismus

Wie entsteht eigentlich das Bild vom Westen in den islamischen Ländern? Das wenig taktvolle Auftreten westlicher Touristen spiele dabei eine Rolle, sei aber nicht der einzige Faktor, meint Katajun Amirpur.

"Was das Bild des Westens in den islamischen Ländern viel stärker prägt, ist die Politik der Vereinigten Staaten gegenüber den islamischen Ländern: die engen Beziehungen zu Israel, der Irak-Krieg, Guantanamo und vieles andere lassen das Bild vom 'bösen Westen' entstehen“, sagt die Islamwissenschafterin und fügt noch einen weiteren interessanten Aspekt hinzu:

"Besonders die Deutschen haben vor allem in abgelegenen Teilen der islamischen Welt einen guten Stand. Grund dafür sind der Nationalsozialismus und der Antisemitismus. Die Deutschen werden in diesem Sinn als 'Brüder im Geiste' gegen den gemeinsamen Feind Israel gesehen.“

Mehr zum Thema "Der Islam und der Westen" in oe1.ORF.at
Facettenreicher Islam

Hör-Tipp
Imago, Samstag, 6. Jänner 2007, 0:08 Uhr

Buch-Tipp
Samuel Phillips Huntington, "Clash of Civilizations", Verlag Simon & Schuster, ISBN 074323149X

Links
IGGIÖ - Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich
Institut für Iranistik
Deutsches Orient-Institut