Paradigmenwechsel in der Entwicklungshilfe
Wir retten die Welt zu Tode
William Easterly zeichnet ein dramatisches Bild der Entwicklungshilfe: Sie ist ineffizient und realitätsblind. Die Geberländer verschließen zwar nicht die Augen vor dem Dilemma der Ärmsten aber vor der Wirkungslosigkeit ihrer eigenen Initiativen.
8. April 2017, 21:58
William Easterly hat kein Buch geschrieben über Mohammad Yunus. Aber der Banker aus Bangladesh und Gewinner des diesjährigen Friedensnobelpreises erhält eine respektvolle Würdigung in der sonst recht respekt- und schonungslos das Desaster der Entwicklungshilfe rekapitulierenden Streitschrift des New Yorker Ökonomieprofessors. Easterly schildert, wie es zu den von Yunus erfundenen Mikrokrediten für Arme kam - und wie die mittlerweile berühmte "Grameen Bank" ihren Anfang nahm.
Ich glaube, der Friedensnobelpreisgewinner Mohammad Yunus wurde für etwas ausgezeichnet, von dem man sich eine Linderung der Armut verspricht: für Initiativen, die von unten nach oben führen, die einheimisch sind, ersonnen von sozial denkenden Unternehmern und Reformern. Der Friedensnobelpreis dieses Jahr war auch deshalb eine interessante Entscheidung, weil ein anderer der namhaften Kandidaten im Gespräch Bono von U2 war. Und Bono ist die Verkörperung dieser "von oben nach unten"-Mentalität, dieses "wir hier oben retten die Armen da unten". Yunus steht dagegen für eine Hilfe für die Armen Schritt für Schritt, ausgehend von der Basis. So hat also der "von unten nach oben"-Ansatz über denjenigen "von oben nach unten" einen entscheidenden Sieg errungen...
William Easterly zeichnet auf knapp vierhundert Seiten ein dramatisches Bild der Entwicklungshilfe: Sie ist ineffizient, bürokratisch, borniert und realitätsblind. Nicht, dass die reichen Länder ihre Augen vor dem Dilemma der Ärmsten nicht öffneten, kritisiert der Autor, sondern dass sie sie vor der Wirkungslosigkeit ihrer eigenen Initiativen verschlössen.
Fast drei Milliarden Menschen haben kaufkraftbereinigt weniger als zwei Dollar am Tag zum Leben. Knapp eine Milliarde leidet Hunger.
Was also ist zu tun?
Ist es so, "dass ein unterentwickeltes Land (...) einen übergreifenden integrierten Nationalplan braucht (...) unter dem motivierenden und anerkennenden Beifall der fortgeschrittenen Länder", wie der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Gunnar Myrdal schon 1956 forderte?
Wurde nicht ein solcher Plan unlängst formuliert von Politikern führender Nationen mit dem so genannten "Human Development Report on Millennium Development Goals", mit einer Handvoll bis zum Jahr 2015 zu erreichenden Milleniums-Entwicklungszielen? Ist das nicht ein Schritt in die richtige Richtung? William Easterly sagt nein. Mit großen Plänen seien "hehre Ziele zum Scheitern verurteilt".
Ja, mach' nur einen Plan
Der zum Simplifizieren neigende Easterly fordert so etwas wie einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik. Angesichts ihrer chronischen Erfolglosigkeit möchte man ihm Recht geben. "Der richtige Plan ist, auf einen Plan zu verzichten", fordert der Autor in seiner fundierten und faktenreichen, mit Zitaten und Diagrammen unterfütterten Abhandlung, die freilich nicht ohne einige Wiederholungen auskommt und nicht ohne manche Ressentiments: "Nur elitäre Westler können Planer sein."
Der neue Kolonialismus
Doch nicht nur über Entwicklungshilfe im besonderen, auch über Außenpolitik im allgemeinen schreibt Easterly in seinem streitbaren, manchmal auch einseitigen, aber stets sehr entschiedenen Buch. Für ihn ist Außenpolitik oft nichts anderes als die Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln, was er am Beispiel der Reagan-Administration und ihrer Politik in Angola oder Nicaragua belegt.
Nicht zuletzt deshalb lautet der Originaltitel seines Buches auch - ein Gedicht Rudyard Kiplings zitierend - "The White Mans Burden", "Die Bürde des weißen Mannes".
Als Kipling "Die Bürde des Weißen Mannes" verfaßte, schrieb er von einem sehr rassistischen und gönnerhaften Standpunkt: Es sei Sache des weißen Mannes, den Rest der Welt zu retten. Einen solchen Rassismus gibt es heute nicht mehr, jedenfalls nicht in den Entwicklungshilfe-Organisationen. Doch auch im 20. und 21. Jahrhundert glauben sie, daß sie es sind, die den Rest der Welt retten werden - es ist die gleiche herablassende Haltung. Doch nicht wir sind dazu berufen, Afrika zu retten. Es ist Sache der Afrikaner, Afrika zu retten.
Das Zeichen des Nobelpreises
William Easterly hat ein Buch geschrieben über Mohammad Yunus. Der Friedensnobelpreisträger ist einer seiner Helden, ein Sucher, ein Mann der Tat, nicht der Theorie, ein Kapitalist, kein Mäzen, verantwortungsbewusst, leise und entschieden. Menschen wie er retten nicht die Welt, sie helfen einer Region. Sie sind der lebende Widerspruch zu den medienwirksamen Hausierern und pathetischen Rezepteverkündern für die Dritte Welt.
Das schwedische Komitee hat offenbar erkannt, dass in der Entwicklungshilfe eine Kurskorrektur nötig ist - und mit Yunus die Alternative prämiert. Bleibt nur zu hoffen, dass auch die Politiker des Westens endlich umsetzen, was die Nobelpreisjury honorierte - und Aufklärer wie William Easterly einfordern: ein professionelleres Management im Kampf gegen die Armut.
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Buch-Tipp
William Easterly, "Wir retten die Welt zu Tode", Campus 2006, ISBN 9783593381572
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