Psychoanalyse, Judentum und Religionsgeschichte

Freuds Moses-Roman

Freuds letztes großes Werk "Der Mann Moses und die monotheistische Religion" ist immer wieder zum Gegenstand von Missverständnissen und Fehlinterpretationen geworden. Viele zählen den Moses-Roman zu den anziehendsten Arbeiten Freuds.

"Der Mann Moses und die monotheistische Religion" ist Sigmund Freuds letzte, aus drei Abhandlungen zusammengesetzte Schrift, die in seinem Todesjahr 1939 in Amsterdam erschienen ist. Sie ist - in der letzten Lebensphase Freuds - der Versuch, sich mit seiner eigenen jüdischen Identität auseinanderzusetzen, die sein Leben bestimmte, und zählt allgemein zu den anziehendsten Arbeiten des Psychoanalytikers.

Erster Entwurf blieb unveröffentlicht

Der erste Entwurf zu dem Text stammt aus dem Jahr 1934: Sigmund Freud konzipiert unter dem Titel "Der Mann Moses“ einen historischen Roman. Ein Jahr später ist ein erster Entwurf fertig gestellt.

Aus Besorgnis, die Reaktion der damals in der österreichischen Regierung tonangebenden katholischen Kirche könnte der Psychoanalyse insgesamt schaden, unterließ Freud eine Veröffentlichung. Er nahm das Manuskript nach London mit, wohin er 1938 vor den Nationalsozialisten geflohen war, und bearbeitete den Text neu.

Freuds Suche nach Antworten

Sigmund Freud suchte in seinen Reflexionen zum Judentum nach einer Antwort auf die Frage, wie der Jude geworden sei, und "warum er sich diesen unsterblichen Hass zugezogen“ habe, wie er in einem Brief an Arnold Zweig vom 30. September 1934 ausführte. Eine eindeutige Antwort auf den Antisemitismus formulierte Freud nicht.

Aus seinem "Moses“-Text lässt sich allerdings schließen, dass er mit dem "Fortschritt in der Geistigkeit“, worin Freud einen Kernpunkt der kulturellen Errungenschaft durch das Judentum sieht, zusammen hängt. Dieser "Fortschritt in der Geistigkeit“ leitet sich aus den ersten beiden Geboten, die auf dem am Berg Sinai übergebenen Gesetzestafeln formuliert sind, ab: nur einen Gott zu haben, und sich kein Bild von ihm zu machen.

Historische Grundlagen

Für seine Theorie, die in einem Brief aus dem Jahr 1935 an Lou Andreas Salomé enthalten sind, entwickelte Freud eine historische Konstruktion: Moses war ein Ägypter hoher Abkunft zur Zeit des Ketzerkönigs Echnathon. Dieser hat dem ägyptischen Mehrgottglauben abgeschworen und hing für kurze Zeit einer monotheistischen Religion an. Nach dem Tod des Pharao brach die neue Religion zusammen.

Moses beschloss daraufhin, "sich ein neues Volk zu schaffen, das er in der großartigen Religion seines Meisters erziehen wollte“. Dies war der semitische Stamm, der noch in Ägypten verweilte. Moses führte die Israeliten in die Freiheit und erschuf mit dem "Geschenk der neuen Religion“ den Juden. Dieser ertrug allerdings den neuen Glauben nicht, erschlug Moses und warf seine Lehre ab.

Aus einer anderen Tradition wurde der Volksgott Jahve übernommen, der zum Volksgott der Juden wurde. Eine "dunkle Kunde“ war von der Moses-Religion und ihrem Stifter geblieben. Sie wurden in einer neuen Tradition mit Jahve verschmolzen.

Seine Erkenntnis post skriptum

Diese Theorie verbindet Sigmund Freud mit den psychoanalytischen Erkenntnissen über die Struktur und Funktionsweise des Psychischen. "Immer klarer erkannte ich“, so Freud 1935 in einem Postskriptum zur "Selbstdarstellung“, "dass die Geschehnisse der Menschheitsgeschichte, die Wechselwirkungen zwischen Menschennatur, Kulturentwicklung und jenen Niederschlägen urzeitlicher Erlebnisse, als deren Vertretung sich die Religion vordrängt, nur die Spiegelung der dynamischen Konflikte zwischen Ich, Es und Über-Ich sind, welche die Psychoanalyse beim Einzelmenschen studiert, - auf einer weiteren Bühne wiederholt“.

Das Interesse an Sigmund Freuds Studie über "Moses und die monotheistische Religion" ist erst seit den 1990er Jahren gewachsen. Das Interesse basiert auf einer neuen gedächtnisgeschichtlichen Grundlage, ausgehend von einer Studie des israelischen Historikers Yosef Hayim Yerushalmi, die der deutsche Ägyptologe Jan Assmann in seinem Buch "Moses der Ägypter" aufgriff, und den Versuch unternahm, diese Gedächtnisspur zu entziffern.

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Links
Sigmund Freud Museum Wien
Freud-Institut
Wiener Psychoanalytische Vereinigung