Depressionen, Schlafstörungen und Burnout

Gestörte Welt

Eine Bestandsaufnahme der psychischen Gesundheit in 26 EU-Ländern hat ergeben, dass im Durchschnitt 27 Prozent der Bevölkerung im Laufe eines Jahres eine psychische Störung erleiden - und das betrifft nicht nur Erwachsene.

Auch die Zahl der Kinder, die unter Angststörungen oder Depressionen leiden, sich aggressiv verhalten oder sich selbst verletzen, steigt.

Sind die Hinweise auf vermehrte Aggression und Depression, Abhängigkeiten und psychische Auffälligkeiten nur eine Folge vermehrter öffentlicher Sensibilität oder besserer Untersuchungsmethoden? Oder gerät die menschliche Psyche durch Stress, veränderte Familienstrukturen und steigende Unsicherheit immer häufiger aus dem Gleichgewicht?

Psychische Erkrankungen im Steigen begriffen

Die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation klingen alarmierend: in der Liste der belastendsten Krankheiten weltweit standen Depressionen im Jahr 2000 bereits an vierter Stelle. Bis zum Jahr 2020 - so die Prognose der WHO - werden sie an die zweite Stelle vorgerückt sein.

Diese Zahlen sind nicht nur wegen des persönlichen Leids dramatisch: Depressionen stehen als Grund für Arbeitsunfähigkeit und Invalidität jetzt schon an erster Stelle und können im schlimmsten Fall zu Selbstmord führen.

Im Steigen begriffen ist auch die Zahl der Angsterkrankungen. Auffällig ist, dass jene psychischen Erkrankungen zunehmen, die durch übermäßige Belastungen ausgelöst werden. Bei den Depressionen steigen zum Beispiel nur jene Formen, die nicht organisch bedingt sind, sondern durch äußere Einflüsse entstehen.

Stress - die größte Gefahr des 21. Jahrhunderts

Stress ist eigentlich lebensnotwendig. Unseren Vorfahren diente er dazu, auf Gefahren rasch reagieren zu können. Heutzutage stehen viele Menschen jedoch unter Dauerstress, der oft gar nicht mit konkreten Bedrohungen in Zusammenhang gebracht werden kann.

Während der erhöhte Kortisolspiegel bei momentanem Stress höhere Wachheit und schnelles Handeln ermöglicht, ist er bei Dauerstress schädlich und kann sogar Nervenzellen im Gehirn angreifen. Dauerstress führt deshalb zu Vergesslichkeit und kann Muskelverspannungen, eine Schwächung des Immunsystems, Diabetes und Depressionen verursachen. Die Weltgesundheitsorganisation betrachtet Stress deshalb als eine der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts.

Arbeit kann Ihrer Gesundheit schaden

Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie, Arbeitsforscher, Stressforscher und die Weltgesundheitsorganisation sind sich einig: Schuld an der Zunahme der psychischen Erkrankungen trägt zu einem beträchtlichen Teil die Arbeitswelt.

Unter dem Diktat von Privatisierung, Liberalisierung und Globalisierung wurden in nahezu allen Bereichen Einsparungen getroffen, die zu Lasten der Arbeitnehmer oder der sogenannten neuen Selbstständigen gehen.

Rationalisierungsmaßnahmen, höherer Leistungsdruck, höherer Zeitdruck und die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, führen deshalb dazu, dass für viele Menschen der Arbeitsalltag von Stress begleitet ist. Dazu kommt oft noch der Technikstress, verursacht durch ständige Neuerungen bei Informations- und Kommunikationsmedien. Schlechte Bedienbarkeit und fehlende Einschulungen führen häufig zu Frustration, Desorganisation und in der Folge zu Aggression oder Depression. E-Mails, Newsticker und Telefonanrufe unterbrechen außerdem immer öfter die Arbeit und die Konzentration und führen zu hoher Unproduktivität.

Stressfaktor Familienmanagement

In einer Zeit, in der Väter und Mütter berufstätig sein wollen oder müssen, weil es sich sonst finanziell nicht ausgeht, werden auch der Alltag und das Familienleben häufig zum Stressfaktor. Außerdem steigt die Zahl der Scheidungen und immer mehr Menschen - meist sind es Frauen - sind Alleinerzieher.

Großeltern, die bei der Kinderbetreuung helfen könnten, wohnen oft zu weit weg oder selbst noch berufstätig, an vielen Orten mangelt es noch immer an leistbarer und zeitlich flexibler Kinderbetreuung. Damit wird das Management von Alltag, Beruf, Kindererziehung, Schule, Haushalt und Freizeit zum Drahtseilakt, bei dem man bei der geringsten Störung abzustürzen droht.

Working poor

Zu schlecht ausgebildet, zu alt, zu teuer, wegrationalisiert, nicht flexibel genug - die Gründe, warum jemand den Arbeitsplatz verliert, sind heute so vielfältig wie brutal. In Österreich waren im November dieses Jahres mehr als 230.000 Menschen als arbeitslos gemeldet, davon waren 7.000 seit einem Jahr oder länger ohne Beschäftigung. Auf eine beim Arbeitsmarktservice gemeldete offene Stelle kommen - rein statistisch betrachtet - etwa sieben vorgemerkte Arbeitslose.

Das Lohnniveau ist gesunken, die Anforderungen steigen. Dramatisch ist, dass viele junge Menschen erst gar nicht in den Arbeitsmarkt hineinkommen. Und dass es auch in Österreich immer mehr "working poor" gibt - also Menschen, die trotz mehrerer geringfügiger Beschäftigungen nicht genug zum Leben haben.

Obwohl Österreich laut einer Studie der Weltbank mit einem errechneten Pro-Kopf-Reichtum von 400.455 Euro unter den reichsten Ländern der Welt an siebenter Stelle steht, gelten eine Million Menschen in Österreich als arm oder armutsgefährdet. Die Zahl jener Menschen, die mit wenigen Hundert Euro im Monat auskommen müssen, steigt seit Jahren kontinuierlich.

Armut macht krank - Krankheit macht arm

Was das langfristig bedeutet, kann man sich leicht ausmalen: Perspektivenlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, finanzielle Probleme und eine zunehmende Verarmung. Alles in allem keine guten Voraussetzungen für die psychische Gesundheit einer Gesellschaft. Denn Armut macht krank - und Krankheit macht arm.

Wer schon am 15. des Monats nicht mehr weiß, wie er Miete, Strom und Essen zahlen soll, steht unter Dauerstress und damit unter großer Gefahr, körperlich und psychisch krank zu werden. Kinder, die in Armut aufwachsen, leiden häufiger unter Ängsten, Schlafstörungen oder Atemwegserkrankungen und werden als Erwachsene mit hoher Wahrscheinlichkeit chronisch krank.

Wer wegen körperlicher oder psychischer Krankheiten nicht gut drauf ist und sich nicht gut verkaufen kann, hat am Arbeitsmarkt keine Chance. Dieser Teufelskreis ist nicht nur eine menschliche Tragödie. Er bedeutet auch einen hohen volkswirtschaftlichen Schaden.

Mehr zu Burnout in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 18. Dezember bis Donnerstag, 21. Dezember 2006, 9:30 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendereihe "Radiokolleg" (mit Ausnahme der "Musikviertelstunde") gesammelt jeweils am Donnerstag nach Ende der Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.

Links
Armutskonferenz
pro mente Austria
Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt
Österreichisches Institut für Familienforschung
deutsche Studie über Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
World Federation for Mental Health