Petro-Dollars und Elend in der Glitzermetropole
Stadtporträt Caracas
Caracas kann als Prototyp der massiven urbanen Entwicklungsprobleme Lateinamerikas gelten. Eingekesselt zwischen Bergmassiven, platzt die Hauptstadt Venezuelas aus allen Nähten. Neben modernistischer Hochglanz-Architektur wachsen die Slums.
8. April 2017, 21:58
Die Entwicklung der hoch gelegenen Metropole Caracas passierte in den letzten Jahren vor allem abseits der glitzernden, vermeintlich modernistischen Hochglanz-Architektur und der Welt sauberster U-Bahn, wie Caracas der Welt gerne erzählt. Wie ein Geschwür breiteten sich die Slums, "Barrios" genannt, im Stadtraum aus. Und mit ihnen Kriminalität und Gewalt. Tatsächlich gilt Caracas zurzeit als eine der gefährlichsten Metropolen der Welt.
Auf fast 900 Metern Höhe liegt Venezuelas Hauptstadt am Fuße des mächtigen Ávila-Berges. Ein in die Länge geschütteter Haufen von Abertausenden Bau-Klötzen in der Farbe des Betons, dazwischen nicht wenige Geschäfts- und Wohntürme, an deren Fuß sich die berühmten und nicht minder berüchtigten Barrios ausbreiten, wie die so genannten Armen-Siedlungen heißen. Wenn nicht hier, dann nirgendwo trifft das Bild von einem Meer aus roten Ziegeln zu. Zu ebener Erde wie Bodendeckerpflanzen, auf den Hügeln wie Bienenkörbe.
Ölrausch in den 1930ern
Am Übergang zum 20. Jahrhundert lebten in Caracas 90.000 Menschen. Just während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren bescherte der bis heute anhaltende Ölrausch der Stadt aber eine wahre Bevölkerungsexplosion. Schätzungen über die Einwohnerzahl reichen heute bis zu 10 Millionen für den Großraum Caracas.
Streiks, Armut im Reichtum, Putsch und Referendum über seinen Präsidenten, das sind nur einige Schlagworte der letzten Jahre, die man mit Venezuela assoziiert. Im Jahr 1999 erringt Staats- und Regierungschef Hugo Chavez bei den Präsidentenwahlen einen überragenden Sieg. Der heute 52-jährige Linksnationalist und Ex-Putschist sichert sich damit eine sechsjährige Amtszeit.
"Zittert, Oligarchen" war damals - anspielend auf die schrankenlose Korruption im Land - sein Lieblingsspruch. Doch noch während der Populist mit dem Siegeswind in den Segeln gegen den "wilden Kapitalismus" dahinbraust, schlittert Venezuela in eine nie da gewesene sozioökonomische Krise. Die Arbeitslosigkeit steigt bald auf Rekordniveau, geschätzte 80 Prozent der 23 Millionen Venezuelaner leben in Slums.
Auch wenn das Erdöl am paar hundert Kilometer an der kolumbianischen Grenze, im Maracaibo-See oder am Orinoco-Gürtel gefördert wird, dreht sich auch in der Hauptstadt alles ums Öl. Schließlich hat die von Hugo Chavez wieder verstaatliche Erdölfirma und omnipräsente PDVSA hier ihren Sitz.
Armut trotz Ölreichtum
Venezuela besitzt die größten Erdöl- und Gas-Reserven der westlichen Hemisphäre. 2005 betrug der Gewinn aus den täglich geförderten 3,7 Millionen Barrel Öl sechseinhalb Milliarden Dollar. Das reiche Venezuela liegt im Human Developement-Index der UNO dennoch hinter Öl-Importeuren wie Argentinien, Costa Rica oder Chile. Die Einkünfte aus den Förderlizenzen lassen sich offenbar nicht in Wohlstand und Entwicklung ummünzen, folgern die Autoren Seifert und Werner in ihrem "Schwarzbuch Öl" aus dem Jahr 2005.
Fliegende Händler
Buhaneros werden die Händler genannt, die das Straßenild beherrschen. Hugo Chavez meinte bei seinem ersten Amtsantritt, jeder müsse - auch wenn er vielfach keine geben konnte - Arbeit haben und stellte den Tausenden Arbeitslosen quasi frei, auf der Straße was auch immer zu verkaufen: Kleider, Schmuck, Bananen, DVDs, Empanadas y mucho más. Viele Caracenos - aus bemittelten Schichten versteht sich - regen sich über diese Entwicklung der fliegenden Händler auf, weil es an Glamour fehle und sie das Stadtbild trüben.
Wir stehen abends im Zentrum auf einem breiten Trottoir und trauen unseren Augen nicht. Eine kleine Fress-Meile ist da aufgebaut. Das ist noch nichts Ungewöhnliches in dieser Stadt. Aber was man hier im Freien außer Essen noch machen kann schon. Die rund 20 Stände sind ordentlich - nebeneinander - aufgefädelt und vor jedem steht ein Fernseher, dahinter die Straße im Panorama. Glotzen unter Sternen sozusagen. Es läuft gerade ein Baseball-Match der hiesigen Star-Mannschaft "Leones", die aber gerade verliert. Das Stadion ist nur einen Steinwurf entfernt...
Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 25. August 2007, 17:05 Uhr
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Buch-Tipp
Christoph Twickel, "Hugo Chavez", Edition Nautilus, ISBN 3894014938
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