China in den Augen von Yu Hua

Blut ist ein besondrer Saft

Es ist nur eine Metapher, versucht man sich zu beruhigen. Dieses Blut, das in einem kleinen Städtchen in Zentralchina zur wichtigsten Nebenverdienstquelle geworden ist, bedeutet nur, dass es viele Blutspender gibt. Was ist daran so

Das Buch des chinesischen Schriftstellers Yu Hua heißt auf Deutsch "Der Mann, der sein Blut verkaufte". In diesem Buch wird bäuerlich langsam gedacht, bedächtig erklärt. Der Unterschied von Schweißgeld und Blutgeld etwa. Oder der Unterschied von Kraft aus dem Blut und Kraft aus dem Fleisch. Und man erhält den Eindruck, als wären den einfachen Menschen irgendwo in der zentralchinesischen Provinz die Unterschiede völlig klar. Genauso klar wie die Tatsache, dass jeder, der aus irgendeinem Grund nicht sein Blut verkauft, krank sein muss.

Ein besonderer Saft

Yu Hua, 1960 als Sohn eines Zahnarztes geboren, war selbst fünf Jahre lang Zahnarzt, bevor er sich ganz der Schriftstellerei widmete. Er begann mit skurrilen Kurzgeschichten, auch diese nicht blutlos. (Haben - auch gewesene - Zahnärzte ein besonderes Verhältnis zum besonderen Saft, oder...)

Hat die brutale Gewalt während jener Revolution, die eine neue Kultur errichten wollte und daher alle Kultur vergaß, die Menschen tatsächlich "umerzogen", eine neue Gleichgültigkeit gegen - auch niedergeschriebene - Gewalt erschaffen? Oder anders gesagt: Ist die Maske des Gleichgültigen, derer sich Yu Hua gerne bedient, ein Kunstgriff - oder typisch für den Stil der Jungen?

Eine einträgliche Erwerbsquelle

Ein junger Mann stirbt in Yu Huas ersten Roman "Leben!", weil er sein Blut einem hohen Funktionär spendet. Im zweiten Roman "Der Mann, der sein Blut verkaufte" scheint Blut verkaufen die einzige Möglichkeit zu sein, ein halbwegs erträgliches Leben zu führen. Und tatsächlich dürfte Blut auch im realen China eine einträgliche Erwerbsquelle gewesen sein, aber die Zeiten sind vorbei.

Nachdem die Provinz Henan in den 1990er Jahren mit mehr als 300.000 Infizierten zum Zentrum der chinesischen Aids-Epidemie avancierte - durch angekaufte verunreinigte Blutkonserven -, drängte man auf kontrolliertes Spenden von Blut. Seit 1998 ist das Blutspende-Gesetz in Kraft. Im Jahr 2004 verlautbarte man stolz, dass der Klinikbedarf an Blut zu 90 Prozent aus Spenden gestillt wird. Bis 2007 will man überhaupt kein Blut mehr zukaufen müssen.

Geschäfte mit Obdachlosen

Da mutet eine Nachricht über einen Blut-Dealer-Ring tatsächlich antiquiert an: In der südlichen Provinz Guangdong wurde ein Verbrecherring ausgehoben, der Arbeits- und Obdachlose zum Verkauf ihres Blutes gedrängt habe, und dieses Blut dann ungeprüft und zu überhöhten Preisen weitergegeben habe. Bis zu 15 Mal pro Monat hätten sich einzelne Menschen Blut abzapfen lassen, heißt es.

Damit wird klar, dass auch die schönste staatliche Wunschvorstellung - der Bedarf an Blutkonserven solle bis 2007 nur von Spenden gedeckt werden - Wunschvorstellung bleibt: Aufgeflogen sind die Blut-Dealer im Jahr 2007.

Die Frage bleibt offen, ob Yu Hua hofft, mit Hilfe von Blut, dem Umgang mit Blut in allen möglichen Variationen bis hin zur brutalen Gewalt, die Schrecken der Kulturrevolution literarisch zu bewältigen.

Service

Yu Hua, "Leben!", Klett Cotta

Yu Hua, "Der Mann, der sein Blut verkaufte", Klett Cotta

Yu Hua, "Brüder", S. Fischer