Kein Kinderspiel

Ist es ein Wunder?

"Wunderkinder" begegnen uns nicht nur in der klassischen sondern auch in der Unterhaltungsmusik. Was so leicht und spielerisch erscheint, ist jedoch Ergebnis jahrelanger, harter Arbeit, bei der auf einen Teil der Kindheit verzichtet werden muss.

Imola Joo von der Musikuniversität Wien

Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Clara Schumann, Yehudi Menuhin, Jascha Heifetz, Friedrich Gulda, Hilary Hahn - sie alle tragen ein unsichtbares Etikett mit der Aufschrift "Wunderkind".

Bis heute wird dieser Begriff für sehr junge Musikerinnen und Musiker gebraucht, die schon in früher Kindheit mit außergewöhnlichen Darbietungen vor ihr Publikum treten. Der Begriff "Wunderkind" ist jedoch fast abwertend und wird von den Künstlerinnen und Künstlern nicht gerne gehört, erweckt er doch den Anschein, als könne ein hochtalentiertes Kind, gesegnet mit außergewöhnlicher Musikalität, das Instrument fast wie von selbst beherrschen.

Harte Arbeit

Doch Talent ist nicht alles. Hinter jedem musikalischen "Wunder" stehen Jahre harter Arbeit schon von frühester Kindheit an.

Nach spielerischen und begeisterten Anfängen im zweiten und dritten Lebensjahr wird im Zuge der Entdeckung großer Talente nicht selten die Lebensenergie und Begeisterung der kindlichen Musiker ausgebeutet. Medien, Musikagenturen und nicht zuletzt das Publikum verlangen nach immer neuen Sensationen, nach "Wundern".

Große psychische Belastungen

Die vielen Stunden harter Arbeit am Instrument, die diese Kinder schon in einem Alter zu leisten imstande waren, in dem ihre Kindergartenfreunde noch in der Sandkiste spielten, werden dabei leicht übersehen. In manchen Fällen führen die hohen Erwartungen zusammen mit der durch das viele Üben entstandenen Einsamkeit und dem Fehlen gleichaltriger Freunde zu großen psychischen Belastungen bis hin zum Scheitern.

Der enorme Druck, der auf diesen Künstlerinnen und Künstlern lastet, bewirkt häufig zu hohe Ansprüche an sich selbst und ständige Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung. Ein Extrembeispiel dafür ist die japanische Violinistin Midori, die viele Jahre während ihrer Auslandstourneen unmittelbar nach den Konzerten nachts in ihrer Künstlergarderobe stundenlang übte, um vermeintliche Fehler während des Konzerts auszubessern.

Therapeutische Hilfe

Durch das ständige Reisen, das Fehlen von Freunden und ohne Unterstützung von Seiten ihrer Familie zog sich Midori völlig in die Musik zurück. Sie erkrankte lebensgefährlich an Anorexie und konnte jahrelang nicht auftreten.

Mit therapeutischer Hilfe lernte sie, sich selbst unabhängig von ihren Leistungen zu lieben und zu respektieren und gewann einen neuen, weniger leistungsorientierten Zugang zur Musik.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 4. Dezember bis Donnerstag, 7. Dezember 2006, 9:45 Uhr

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Midori