Diskursanalyse in der Geschichtsforschung
Das Gerede vom Diskurs
In zahlreichen Texten stößt man auf die Begriffe "Diskurs" bzw. auch "Diskursanalyse". Nur ein Modewort - wo man genauso gut "Diskussion" oder "Debatte" sagen könnte? Oder steckt vielleicht doch mehr dahinter?
8. April 2017, 21:58
Alle paar Jahre dominieren neue Schlagworte die Geistes- bzw. Kulturwissenschaften - was andererseits nicht heißt, dass dahinter nicht sinnvolle Neuerungen stehen. Insbesondere der "Linguistic turn" bzw. die sprachliche Wende hat die Kultur- und Sozialwissenschaften nachhaltig geprägt. Ludwig Wittgenstein folgend: das Denken folgt weitgehend den Regeln der Sprache, die Grenzen des sprachlich Fassbaren zeigen auch die Grenzen der Erkenntnis an.
Das Verständnis von der Wirklichkeit
Seit den 1980er Jahren mehren sich auch in der Geschichtsforschung Stimmen für eine Neuorientierung: Statt zu versuchen, hinter den Quellen "die" geschichtliche Wahrheit zu entdecken, solle man jene Prozesse analysieren, die bestimmen, was in einer Gesellschaft zu einer gegebenen Zeit gesagt und gedacht wird (oder werden kann).
Für das so geschaffene Verständnis von Wirklichkeit hat der französische Philosoph und Psychologe Michel Foucault den Begriff Diskurs geprägt und in seinem theoretischen Werk "Archäologie des Wissens" die Diskursanalyse grundgelegt, ohne allerdings konkrete Methoden dafür vorzuschlagen.
Analyse sprachlicher Phänomene
Vor allem in den Sprachwissenschaften wurde Diskursanalyse schon früh verwendet, um sprachliche Phänomene zu analysieren. Ein Pionier war etwa der Amsterdamer Linguist Teun A. van Dijk mit seinen Untersuchungen beispielsweise zu Rassismus in der Sprache. In Deutschland führte Siegfried Jäger am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung ähnliche Studien durch, in Österreich die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak.
Inzwischen ist Diskursanalyse als Sammelbegriff für Methoden, die sprachliche und soziale Aspekte miteinander verbinden, auch in der Soziologie ein Begriff. Viele Historiker und Historikerinnen standen und stehen diesem Zugang allerdings skeptisch gegenüber. "Ein bisschen zugespitzt war der Vorwurf, der 'Linguistic turn' würde unsere historischen Untersuchungsobjekte in reiner Sprache auflösen", so der Historiker an der Universität Wien Franz X. Eder. "Und was bliebe dann für einen Sozial- oder auch Kulturhistoriker zu tun übrig, wenn alles Sprache wäre?"
Als Franz X. Eder für eine Ausgabe der Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ÖZG) zur Diskussion über die Diskursanalyse in den Geschichtswissenschaften aufrief, trafen über 50 Zusendungen von Historikerinnen und Historikern ein. Das Interesse und der Diskussionsbedarf sind groß, obwohl (oder weil) es sehr unterschiedliche diskursanalytische Herangehensweisen gibt.
Österreichische Forschungsprojekte
Aktuelle Forschungsprojekte aus Österreich zeigen eine große Bandbreite von Anwendungen. So gelangt die Salzburger Mediävistin Carmen Rob-Santer zu einer neuen Lektüre eines "mittelalterlichen Bestsellers", des Traktats "Über die Verachtung der Welt" von Papst Innozenz III.
Therese Garstenauer erforschte unter anderem diskursanalytische Methoden, um die Kooperation und die gegenseitige Wahrnehmung zwischen westlichen und russischen Wissenschaftlerinnen zu untersuchen; Werner Lausecker wendet sie auf die Wechselwirkungen zwischen Politik und Wissenschaft im Nationalsozialismus an. Franz X. Eder kommt bei seinen Studien über den Onanie-Diskurs im späten 18. Jahrhundert und den Homosexualitäts-Diskurs im 19. Jahrhundert zu überraschenden Ergebnissen.
"Fast überall, wo sich Problemfelder aufzeigen, wo wir sagen, da sind wir methodisch noch nicht weit genug oder da ist kaum gearbeitet worden, gibt es immer schon aufgelegte Themen für diskursanalytische Untersuchungen", sagt Carmen Rob-Santer. "Und nicht umsonst bewegen sich die meisten Untersuchungen in der Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts, wo unsere heutigen Institutionen, unsere heutigen Ideen gebildet worden sind".