Elke Schäfter im Gespräch

Wie viel Pressefreiheit ist zumutbar?

1985 formierte sich in Frankreich eine Gruppe, aus Betroffenheit über Inhaftierungen und Ermordungen von Berufskolleginnen. Es ist eine international agierende NGO daraus geworden. Elke Schäfter ist Generalsekretärin von "Reporter ohne Grenzen Deutschland".

Elke Schäfter über Anna Politkowskaja

Nicht nur in autoritären Regimen, auch in westlichen Demokratien bewegen sich JournalistInnen oft genug auf dem schmalen Grat zwischen freier Meinungsäußerung und dem Wissen, dass allzu viel Meinungsäußerung ihrer Karriere schaden könnte. Wie viel Pressefreiheit braucht eine starke Demokratie wirklich? Und wie kann sie garantiert werden?

Diese und andere Fragen richtete Renata Schmidtkunz an die Generalsekretärin von "Reporter ohne Grenzen Deutschland", Elke Schäfter, die auch zur jüngsten Ermordung von Anna Politkowskaja Stellung bezieht.

Renata Schmidtkunz: Frau Schäfter, als Sie am 7. Oktober dieses Jahres die Nachricht von der Ermordung der russischen Journalistin Anna Stepanowna Politkowskaja erreichte, was war da Ihre erste Reaktion?
Elke Schäfter: Ich saß gerade mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Sektionen in Wien zusammen. Wir hatten über eine Reform unserer internationalen Struktur debattiert. Da erreichte uns die Ticker-Meldung; sie kam nach der Meldung über die zwei getöteten Deutschen in Afghanistan, die auch Journalisten waren. Wir waren schockiert. Wir haben aufgeschrieen. Wir haben "Nein" gesagt - und "Das kann nicht sein!" Gleichzeitig hat es uns nicht wirklich überrascht.

Weil...?
Weil in Russland schon lange die Medienfreiheit eingeschränkt wird. Wir kannten Frau Politkowskaja auch persönlich, und wir wussten von ihrer Bedrohung. Wir wussten, dass sie gefährlich lebt. Wir wussten auch, dass sie sich dafür entschieden hat, dennoch ihre journalistische Linie zu verfolgen. In Russland sind schon viele Journalisten getötet worden. Keiner dieser Morde ist bisher aufgeklärt worden.

Wenn Journalisten getötet werden, ist man schockiert. Noch mehr, wenn es eine Frau ist.
Wir befassen uns ja generell mit solchen Vorkommnissen. Unter den Opfern sind immer auch Frauen zu verzeichnen, Journalistinnen. Insofern hat es mich persönlich jetzt nicht überrascht, dass sie eine Frau auf diese Art und Weise töten. Wenn man bedenkt, was Anna Politkowskaja für eine Symbolfigur ist und war, und was für eine Bedeutung sie in der Öffentlichkeit hatte, für die Zivilgesellschaft, für die Demokratie - aus dieser Richtung ist es schockierend. Auf der anderen Seite hat sie den Kreml immer wieder auf Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien hingewiesen und auch auf die Drohungen nicht reagiert - insofern hatte sie auch viele Feinde. Und in Russland greift man zu solchen Mitteln; das wissen wir auch aus vielen anderen Fällen.

Reporter ohne Grenzen hat ja reagiert. Nach dem Tod von Anna Politkowskaja haben Sie eine Petition rausgeschickt mit der Aufforderung, diesen Mordfall aufzuklären. 22 Mordfälle seit dem März 2000 sind nicht aufgeklärt worden. Was lässt Sie denn hoffen, dass dieser aufgeklärt wird?
Wir plädieren ja deshalb in dieser Petition für eine unabhängige Untersuchungskommission, die von der UNO, vom Europarat oder auch der OSZE durchgeführt werden soll. In Russland. Wir hoffen, dass wir hier Zustimmung finden bei diesen Gremien. Und genau aus diesem Grund wollen wir ja eine unabhängige Untersuchung, weil wir der Strafverfolgung in Russland nicht trauen können. Die Justiz dort ist nicht unabhängig, urteilt nicht unabhängig. Insofern befürchten wir ja, dass der Mord nicht aufgeklärt wird, dass man irgendwann einen vermeintlichen Täter präsentiert, ihn verurteilt, eventuell die höhere Instanz das Urteil kippt - das ist auch schon vorgekommen. Wir erhoffen uns da von den russischen Behörden keine wirkliche Strafverfolgung und auch kein großes Interesse an dieser Strafverfolgung.

Mehr zum Thema Medienfreiheit in oe1.ORF.at
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Anna Politkowskaja, Persona non grata
Anna Politkowskaja - Interview von Wolfram Pergler
Medien in Russland

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Im Gespräch, Donnerstag, 16. November 2006, 21:01 Uhr

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