Weltweiter Gedenktag für unterdrückte Dichter

Writers in Prison Day

Der 15. November gilt als Tag der unterdrückten Dichter: PEN-Präsident Grusa hofft auf die schützende Wirkung des internationalen Echos. Einer, der 2005 noch auf der Liste stand, erhielt heuer den Literaturnobelpreis: Orhan Pamuk.

Maynat Kourbanova aus Tschetschenien stellt sich vor

Seit mehr als 40 Jahren setzt sich das vom internationalen P.E.N.-Club gegründete "Writers in Prison Committee“ für Frauen und Männer ein, deren publizistische Arbeiten von den Praktikern der Macht zensuriert werden, mit dem Ziel, die unbequemen Stimmen aus dem Gedächtnis zu löschen und ins Vergessen abzudrängen. Schriftsteller sind davon genauso betroffen, wie Journalisten, Drehbuchautoren, Verleger und Übersetzer.

Der weltweite "Writers in Prison Day“, der einmal im Jahr als Solidaritätsveranstaltung zum Gedenken an die zahlreichen inhaftierten, verfolgten und ermordeten Autorinnen und Autoren stattfindet, wird heuer in Wien in der Michaelerkirche mit einem Musik- und Literaturabend abgehalten.

Im mentalen Gefängnis

"Regime, die die Sprachen töten, sind auch dabei, jene mundtot zu machen, die die eigene Sprache wagen“, sagt P.E.N.-Präsident Jiri Grusa. Auch er war für das totalitäre Regime in seiner Heimat ein gefährlicher Zeitgenosse, weil er die Wörter - so wie viele junge Literaten seiner Generation - außerhalb des Systematisierten verwenden wollte.

Erst die Intervention Heinrich Bölls bei der tschechoslowakischen Regierung 1978 gab ihm seine Freiheit zurück, aber das mentale Gefängnis - wie er selbst sagt - blieb, denn er bekam nicht das Recht zurück, frei zu schreiben; er wurde ausgebürgert. Es sei nirgends selbstverständlich, das Recht auf Freiheit der Sprache, auf ihre Kreativität zu gebrauchen, auch nicht in einer Demokratie - so Jiri Grusa -, aber dort werde man nicht eingesperrt, verfolgt oder gar ermordet.

Der Mord an Anna Politkowskaja

Die russische Journalistin Anna Politkowskaja hat wie viele vor ihr und nach ihr in ihrer Arbeit Zeugnis abgelegt über das, was sie sehen, hören und wissen konnte. Ihre Macht des Wortes war für die Praktiker der Macht eine Bedrohung. Als Mitarbeiterin der in Opposition zur Regierung stehenden Zeitung Nowaja Gaseta, hat sie in Worten für eine friedliche Lösung des Tschetschenienkonflikts gekämpft. Sie wurde von vielen Journalistenkollegen als "Nestbeschmutzerin" angesehen, in russisch-nationalistischen Kreisen als "Feindin des russischen Volkes".

Nun ist Anna Politkowskaja tot, ermordet. Wer ihre Auftragsmörder gewesen sind, steht noch nicht fest, aber man weiß, dass die Aufklärungsquote in Russland bei ähnlichen Fällen in der Vergangenheit bei Null liegt. Die Ermordung rief in vielen ausländischen Medien Bestürzung hervor, auch bei europäischen Politikern. Doch eine gemeinsame Stellungnahme der EU-Kommission blieb aus.

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Dem Tod entronnen

"Sie hatte zu viele Feinde", sagt die Journalistin und mehrjährige Freundin Annas, Maynat Kourbanova, die wegen mehrerer Morddrohungen mit ihrem Kind vor zwei Jahren ihre Heimatstadt Grosny verlassen hat und jetzt in Berlin für das deutsche P.E.N.-Zentrum und für "Reporter ohne Grenzen" arbeitet.

Von beiden Organisationen erhielt Kourbanova ein Stipendium, das Schriftstellerinnen und Schriftsteller schützt. Die Stimmen von Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland hätten ihr das Leben gerettet, sagt sie. In ihrer Zwangspause als Journalistin schreibt sie derzeit ein Buch über die kriegerischen Ereignisse in Tschetschenien. Sie nennt es Totenbuch, denn sie berichtet darin über Menschen, die sie kannte - über ihre Freunde, von denen einer nach dem anderen getötet worden ist.

Situation außerhalb Europas bedrohlicher

Zwei Mal im Jahr veröffentlicht das "Writers in Prison Committee“ eine Liste von Getöteten, Verschwundenen, Verfolgten, Inhaftierten, Versteckten, mit dem Tode Bedrohten, Attackierten, Entführten, ins Exil Gezwungenen, Deportierten, Geflohenen und Freigelassenen. Die Namen der Opfer werden ins Licht der Öffentlichkeit gestellt und die Länder, in denen sie wirken, ins Blickfeld gezerrt.

"Menschenrechtsvergehen an Schriftstellern passieren heute öfters außerhalb von Europa", sagt Helmut Niederle vom Österreich-Komitee "Writers in Prison“. Besonders in China werde die Ausübung des freien Wortes bedroht. Dort seien zum Beispiel wegen Veröffentlichungen im Internet mehr als 30 Dissidenten inhaftiert, unter ihnen der Lyriker und Journalist Shi Tao, informiert Niederle.

Shi Tao wurde wegen "Geheimnisverrats" zu zehn Jahren verurteilt, weil er per E-Mail Presseanweisungen des Propagandamininsteriums zum Jahrestag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens weitergegeben hat. "Dank" Yahoo konnte man die Nachricht Shi Taos bis auf seinen persönlichen Computer zurückverfolgen. Yahoo verweigerte bisher jede aufklärende Stellungnahme, bis auf die Nachricht, dass man sich als Firma vor Ort an die Landesgesetze halten müsse.

Schwerpunkt Türkei

2005 lag der Schwerpunkt der weltweiten Kampagne des "Writers-in-Prison-Committees" bei fünf Autoren, die in ihren Ländern ins Gefängnis gesteckt wurden oder denen Haftstrafen drohten. Einer davon war Orhan Pamuk. Ihm wurde vorgeworfen, den türkischen Staat beleidigt zu haben. "Die Verleihung des Literaturnobelpreises wird ihn schützen", hofft Helmut Niederle. "Nobelpreisträger drangsaliert man ungern, aber was weiß man schon".

Zurzeit stehen nach Angaben des "Writers in Prison Committees“ mehr als 50 Autorinnen und Autoren in der Türkei unter Anklage. Weil sie Tabuthemen wie das Kurdenproblem und die Armenierfrage angesprochen haben, sind 18 Schriftsteller, Journalisten und Verleger nach Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches beschuldigt - wegen Verunglimpfung des Türkentums und des türkischen Staates. Das Verfahren nach Artikel 301 gegen Orhan Pamuk wurde Anfang des Jahres niedergeschlagen.

Startschuss für internationale Kampagne

Anders als im Fall Russland findet die EU in Bezug auf die Türkei viel klarere Worte, wenn es um Verfolgung und Verurteilung geht, die im Widerspruch zu Menschenrechtskonventionen und zum Recht auf freie Meinungsäußerung stehen. Auch das internationale "Writers in Prison Committee“ legt besonderes Augenmerk auf Länder wie die Türkei. Insgesamt 25 Prozent aller weltweiten Fälle verfolgter Autoren, die dem Komitee bekannt sind, fallen nämlich in die Kategorie so genannter Strafgesetze wegen Verunglimpfung und Verleumdung.

Am Mittwoch, 15. November, dem weltweiten "Writers Prison Day", der heuer erstmals in Österreich in der Michaelerkirche in Wien stattfindet, startet eine internationale Kampagne, in der Länder beleuchtet werden, die gegen kritische Stimmen wegen angeblicher Beleidigung und Ehrenkränkung vorgehen. Die Liste der Länder ist zu lang, um sie einzeln zu nennen. Es sind mehr als 30 - in Europa, im Nahen Osten, in Afrika, in Asien und in Süd- und Zentralamerika. Von einer bundesweiten, vom Staat finanzierten Initiative in Österreich, wie sie in Deutschland praktiziert wird, sei derzeit allerdings nichts zu hören, sagt Helmuth Niederle: "Die Österreicher sind in manchen Bereichen schwer mobilisierbar, vor allem wenn es sich um Menschen handelt, die weit weg sind", meint er.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Dienstag, 14. November 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Veranstaltungs-Tipp
Writers in Prison-Day, Dienstag, 15. November 2006, 19:30 Uhr, Michaelerkirche, 1010 Wien,

Links
Vienna Kohlmarkt - Writers in Prison Day
P.E.N.-Zentrum Deutschland - Writers-in-Prison-Committee
Österreichischer P.E.N.-Club