Kazim Koyuncu, Begründer des Laz Rock

Rebellischer Sohn des Schwarzen Meeres

Die Lasen sind eine der vielen ethnischen Minderheiten der Türkei, sie leben im Osten des türkischen Schwarzmeergebiets. Der Sänger Kazim Koyuncu hat lasische Volksmusik mit Rock-Elementen verbunden, seine Musik wurde in der ganzen Türkei gehört.

"Tsira" - ein Liebeslied auf Lazuri

Lasisch, Hemsi, Georgisch, Mingrelisch - so heißen die Sprachen, die man in der von Europa aus gesehen hintersten Ecke des Schwarzen Meers spricht, also im Nordosten der Türkei und in Georgien. In diesen Sprachen, und als fünfte, auf Türkisch, hat der Sänger Kazim Koyuncu seine Lieder gesungen.

Koyuncu ist der Begründer des Laz Rock, des lasischen Rocks, seine Lieder wurden und werden in der ganzen türkischen Schwarzmeerregion gehört und auch von der Großstadtjugend in den hippen Lokalen Istanbuls mitgesungen. Doch bevor der Musiker noch den Zug in Richtung World Music richtig besteigen hat können, ist er, 33-jährig, im vorigen Jahr gestorben.

Unbekannte Schwarzmeer-Küste

Das Schwarze Meer ist für uns in erster Linie jenes Meer, in das die Donau mündet. Doch es umfasst nicht nur die bulgarische und die rumänische Küste mit den bekannten Urlaubsorten Mamaia, Nessebar und Goldstrand. Am Schwarzen Meer liegen auch der russische Badeort Sotschi und das ukrainische Odessa, die früher so multikulturelle Hafenstadt; das historische Trapezunt, das Zentrum der pontischen Griechen, heute türkisch Trabzon; und auch die 16-Millionen-Stadt Istanbul erstreckt sich mit ihren Vororten entlang des Bosporus bis zum Schwarzen Meer.

Ins Schwarze Meer hinein ragt die Halbinsel Krim mit den Orten Jalta und Sewastopol; und im südöstlichsten Eck, im antiken Land Kolchis, dort, wo Jason und die Argonauten das Goldene Vlies suchten, dort leben neben Türken und Georgiern auch die kaukasischen Völker der Lasen, Hemsi, Abchasen und Mingrelen. Die Georgier und Mingrelen sind Christen, die Abchasen und Lasen sind seit dem 17. Jahrhundert islamisiert worden. Die Sprache der Hemsi ist mit dem Armenischen, die anderen Sprachen mit dem Georgischen verwandt.

Erste Songs auf Lazuri

Kazim Koyuncu wurde 1972 im türkischen Ort Hopa geboren, der letzte größere Ort ganz im Osten der türkischen Schwarzmeerküste. Mit 21 hat er die Gruppe Zugasi Berepe (Die Kinder des Meeres), gegründet. Es war die erste moderne Band, die Lieder auf Lazuri, also in lasischer Sprache gesungen hat.

1999 kam Koyuncu zum Studieren nach Istanbul, und hier hat er auf seinen beiden Soloalben "Viya!" und "Hayde", die er 2001 und 2004 herausgebracht hat, auch Songs in anderen Sprachen aufgenommen - auf Georgisch, Hemþi, Mingrelisch, Kurdisch und Türkisch. Koyuncu hat es dabei verstanden, die traditionellen Melodien mit neuen Rhythmen zu verbinden.

Verdacht des Separatismus

Das Eintreten für Minderheitensprachen ist in der Türkei nicht unproblematisch, gerät man damit doch schnell in den Verdacht des Separatismus, der die Einheit des Landes zu gefährden droht. Die Kurden können davon nicht nur ein Lied singen. Noch bis in die 1980er Jahre sind an der Schwarzmeer-Küste die Ortsnamen systematisch türkisiert worden.

Kazim Koyuncu hat durch seine Lieder auf unprätentiöse Weise einiges zur Akzeptanz der Schwarzmeer-Sprachen auf dem Boden der türkischen Republik beigetragen. In Anlehnung an den Namen seiner ersten Band Die Kinder des Meeres hat man Kazim Koyuncu als den rebellischen Sohn des Schwarzen Meers bezeichnet.

Die Burgenländer der Türkei

Von den meisten Türken werden oft alle Bewohner der Schwarzmeerküste als "Lasen" bezeichnet. Davon grenzen sich die echten Lasen, die mokhti laz, ab. Von ihnen gibt es etwa eine Viertelmillion, sie sind kaukasischer Herkunft und auffallend oft blauäugig, blond oder rothaarig.

Sie spielen in der Türkei die Rolle der Burgenländer oder Ostfriesen: Man macht Witze über ihre langen Nasen, über ihre Langsamkeit und über ihren schrecklichem Akzent. Das Lazuri, ihre Sprache, hatte die längste Zeit keine Schrift, erst in den 1990er Jahren ist das erste Wörterbuch publiziert worden.

Charismatischer Rockmusiker

Kazim Koyuncu ist nicht als der volkstümelnde Minderheiten-Botschafter aus dem Fernen Osten des Landes aufgetreten. Er hat sich als charismatischer Rockmusiker in die Herzen vieler großstädtischer Türken gesungen, hat erste Auftritte im Ausland absolviert, ist bei Radio France International aufgetreten.

Im Juni des Vorjahres ist er an Krebs gestorben. In den Gebieten am Schwarzen Meer gibt es seit den 1980er Jahren ein Vielfaches mehr an Krebstoten - der Fluss Dnjepr, an dessen Ufer Tschernobyl liegt, fließt ins Schwarze Meer, und das Wasser schlägt gegen die Südküste.

Hör-Tipp
Spielräume Spezial, Sonntag, 12. November 2006, 17:10 Uhr

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Kazim Koyuncu