Waisenkinder der Medizin

Speicherkrankheiten

Bei Patienten mit Speichererkrankungen sammeln sich "Abfallprodukte" in den Zellen an und schädigen diese. Die Entsorger-Enzyme streiken. Erst seit Kurzem gibt es für einige der seltenen Krankheiten eine wirksame Behandlung: die Enzymersatztherapie.

Enzyme sind "Werkzeuge" der Zelle. Die Eiweißkörper sind für den Auf- und Abbau lebenswichtiger Substanzen verantwortlich. Bei Menschen mit lysosomalen Speicherkrankheiten können bestimmte Enzyme aufgrund eines genetischen Defekts nicht richtig arbeiten.

Dadurch sammeln sich große Moleküle, etwa Kohlenhydrate oder Fette, in den Zellen an und werden nicht verwertet. Dies führt zu Schädigungen und Fehlfunktionen.

Babys und Erwachsene als Patienten

Prinzipiell können diese erblichen, angeborenen Stoffwechselstörungen in jedem Lebensalter - vom Säugling bis zum Erwachsenen - auftreten. Insgesamt sind aus der Gruppe der "lysosomalen Speicherkrankheiten" 50 verschiedene Formen bekannt.

So unterschiedlich Verlauf und Symptome der einzelnen Krankheiten sind, sie haben alle eines gemeinsam: Sie entstehen durch eine Fehlfunktion von Enzymen.

Die unterschiedlichsten Organsysteme können von einer Enzymstörung betroffen sein: z. B. Nerven und Gehirn, Leber, Niere, Herz, Lunge oder Knochen und Gelenke. Je nach Art und Ausmaß des Enzymdefekts sind die Krankheiten unterschiedlich stark ausgeprägt. Manche dieser Speicherkrankheiten führen jedoch bereits im Kindes- und Jugendalter zum Tod.

50 Speicherkrankheiten

Lysosomale Speicherkrankheiten sind relativ selten. An jeder der 50 Krankheiten aus dieser Gruppe erkranken weniger als 10.000 Menschen weltweit. Obwohl sie als rar gelten, ist dennoch durchschnittlich eines von 7.700 Neugeborenen betroffen.

Allerdings variieren die Angaben über die Häufigkeit der Erkrankungen; dies kann daran liegen, dass viele Experten von einer recht hohen Dunkelziffer nicht diagnostizierter "Fälle" ausgehen.

Langer Weg zur richtigen Diagnose

Neugeborene mit genetisch bedingten Stoffwechselerkrankungen erscheinen meistens gesund. In den ersten Lebensjahren können die ersten Anzeichen, aber auch schweren Symptome auftauchen, z.B. Verhaltensauffälligkeiten, Verzögerung des Wachstums, Vergrößerung von Organen (Leber, Milz), Infektionen der Atemwege, Erkrankungen des Herzens.

Es gibt auch Patienten, bei denen sich die Symptome erst im Erwachsenenalter merklich herausbilden bzw. Betroffene, die ganz ohne Symptome leben.

Eine frühe Diagnose ist jedenfalls wichtig, um mögliche irreversible Folgeschäden zu vermeiden. Aufgrund des seltenen Auftretens und der unspezifischen Symptome (z. B. Knochenschmerzen, Darmprobleme) erhalten Patienten mit lysosomalen Speicherkrankheiten oftmals erst spät die richtige Diagnose.

Nur spezialisierte Labors können die Zielführenden Tests durchführen, z. B. um die Aktivität von Enzymen zu bestimmen oder bestimmte Mutationen im Erbgut aufzuspüren.

Bekämpfung der Symptome statt Heilung

Bereits um 1900 waren viele lysosomale Speichererkrankungen durch Ärzte und Wissenschaftler erfasst und beschrieben. Wirkungsvolle ursächliche Therapien fehlen allerdings für die meisten von ihnen bis zum heutigen Tage.

Bei manchen Formen hilft die Transplantation von gesundem Knochenmark, um dem kranken Körper den Mechanismus der Enzymbildung "beizubringen". Gegen ein Zehntel der Speicherkrankheiten gibt es seit einigen Jahren eine völlig neue Behandlungsform, die Enzymersatztherapie: Künstliche Enzyme werden durch Infusionen verabreicht.

Wichtigkeit von Selbsthilfegruppen

Schwere chronische Erkrankungen, für die es bislang keine Heilung gibt, stellen für die Betroffenen und ihre Familien eine enorme Belastung dar. Bei der Bewältigung können Selbsthilfegruppen und Patientenorganisationen wichtige Hilfestellungen leisten.

Weiters treibt das Lobbying durch Betroffenenvereinigungen Politik und Wissenschaft an, damit die Fahndung nach neuen Therapien finanziert und durchgeführt wird.

Diskutieren Sie mit!

Wenn Sie Fragen haben oder während der Live-Sendung von Ihren Erfahrungen berichten möchten, so können Sie uns während der Sendung unter der Telefonnummer 0800 22 69 79 erreichen. Ihr Anruf ist kostenlos. Sie haben auch die Möglichkeit, hier zu posten. Nach der Sendung wird Professor Bodamer bis etwa 15:15 Uhr möglichst viele der Fragen aus dem Forum beantworten.

  • Werden Neugeborene routinemäßig auf das Vorliegen einer Speicherkrankheit getestet?
  • Wann wird die Gentherapie zu den etablierten Behandlungsinstrumenten gehören?
  • Hat die Enzymersatztherapie gefährliche Nebenwirkungen?
  • Was sollten Betroffene vor der Familienplanung über die Vererbung der Krankheit wissen?
  • Warum gibt es nur gegen manche Speichererkrankungen langfristig wirksame Therapien?
  • Wie kann man Wissenschaft und Industrie (Pharmafirmen) motivieren, seltene Krankheiten zu erforschen?

Mehr dazu in der Online-Infomappe

Hör-Tipp
Radiodoktor, Montag, 13. November 2006, 14:20 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.