Längst ein Star der Alte-Musik-Szene
René Jacobs ist 60
Es ist 30 Jahre her, als ein damals kaum bekannter Countertenor bei den Innsbrucker Festwochen auftrat: René Jacobs, der am 30. Oktober 2006 seinen 60er feierte. Nun widmete der ORF dem Star der Alte-Musik-Szene eine CD mit dem "Cesti Pasticcio".
8. April 2017, 21:58
Vor 30 Jahren, als die sogenannte Alte Musik noch das Label "auf Originalinstrumenten" brauchte, um sich profilieren zu können, als Nikolaus Harnoncourt und Gustav Leonhardt noch mitten im Projekt der Gesamtaufnahme der Bach-Kantaten waren, Mitte der 1970er Jahre, als Jordi Savall mit Freunden gerade das Ensemble Hespérion XX gegründet hatte, damals war allein schon das Wort "Countertenor" etwas Exotisches. Freilich war da längst Alfred Deller, der als Naturtalent als Mann im Falsett Alt sang, doch galt dieses Genre noch als echte Rarität. Und wenn ein Countertenor angekündigt war, war das damit verbundene Risiko für die Zuhörer schwer einzuschätzen.
Als der Belgier René Jacobs vor 30 Jahren bei den ersten Innsbrucker Festwochen der Alten Musik als junger Countertenor auftrat, war er noch ein No name und nur wenigen Kennern ein Begriff. Heute, längst ein Star der Szene, feierte Jacobs am 30. Oktober 2006 seinen 60. Geburtstag. Mich verbinden mit René Jacobs viele schöne musikalische Stunden. Etwa jene am 24. August 1980, als ich als Student das Konzert mit dem "Cesti Pasticcio" in der Hofburg bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik hörte.
Geburtstags-CD in ORF Edition Alte Musik
Gemeinsam mit Stars wie William Christie oder Wieland Kuijken trat René Jacobs damals mit einem selbst zusammengestellten Pasticcio aus bis jetzt zum Teil noch immer nicht wiederaufgeführten Opern von Pietro Antonio Cesti auf.
Das Konzert - eine veritable Sternstunde der Musik - wurde mitgeschnitten und ist nun als historische Aufnahme zum 60er von René Jacobs in der ORF Edition Alte Musik erschienen.
Mit der Kraft des Pioniergeistes
Dieses außergewöhnliche Ereignis von damals hat bis heute nichts an musikalischer Kraft eingebüßt. Wer könnte sich schließlich dem frischen Wind des damaligen Pioniergeistes entziehen, dem nahezu unbeschwerten interpretatorischen Ansatz, der heute leider so oft vermisst wird.
Ebenso lebendig ist mir der Eindruck eines Abends im Wiener Konzerthaus geblieben. René Jacobs war mit Mitgliedern der Schola Cantorum Basiliensis, an der er selbst viele Jahre Gesang unterrichtete zu Gast, um Musik von Jan Dismas Zelenka erstmals in Wien aufzuführen. Auch damals war das Publikum zwar zwiespältig über das Timbre der Altstimme, was die Stilistik anbelangte, die Meinung war jedoch einhellig: besser kann man es gar nicht machen.
Markenzeichen für Oratorium und Oper
Auf vielen Aufnahmen ist die Stimme des 1946 in Gent geborenen Musikers dokumentiert. René Jacobs sang als Chorknabe in seiner Heimatstadt und setzte später seine Gesangsstudien in Brüssel und Den Haag fort. An der Universität Gent studierte er klassische Philologie. Die künstlerischen Begegnungen mit dem Sänger Alfred Deller, dem Cembalisten und Organisten Gustav Leonhardt und mit den Brüdern Kuijken führten zur intensiven Beschäftigung mit Alter Musik und mit historischer Aufführungspraxis.
Jacobs spezialisierte sich als Countertenor und schlug in diesem Stimmfach eine internationale Laufbahn als Opern- und Konzertsänger ein, die ihn durch ganz Europa, in die USA und in den Fernen Osten führte. Seine Interpretationen von Barockopern-Rollen und von geistlicher und weltlicher Musik des 17. und 18. Jahrhunderts setzten Maßstäbe, die in zahlreichen Schallplatten- und CD-Aufnahmen dokumentiert sind.
Denkwürdige Aufführungen als Dirigent
Bei den ersten Innsbrucker Festwochen 1976 war Jacobs mit Kantaten und Arien von Caldara und Händel zu hören. Ab 1977 unterrichtete er lange Jahre barocken Gesangsstil an der Schola Cantorum Basiliensis. 1979 brachte er in Innsbruck erstmals Vokalmusik des einstigen Innsbrucker Hofkapellmeisters Pietro Antonio Cesti zu Gehör, 1980 sang er hier Arien aus Cesti-Opern. Die hervorragende Wirkung seines Musizierstils und Cestis Musik bewogen Otto Ulf, den damaligen Innsbrucker Festwochen-Chef, Jacobs 1982 die Leitung einer konzertanten Opernaufführung von Cestis "Orontea" anzuvertrauen.
Von nun an widmete sich René Jacobs verstärkt der musikalischen Leitung und Bearbeitung von Barock-Opern mit dem Schwerpunkt auf der frühen venezianischen Oper Monteverdis, Cavallis und Cestis. In Innsbruck und an bedeutenden Opernhäusern in ganz Europa dirigierte er denkwürdige Aufführungen u. a. von Werken Monteverdis, Cavallis, Contis, Cestis, Händels und Purcells. Bei den Salzburger Festspielen brachte er Monteverdis "Orfeo" und an der Brüsseler Oper Cavallis "La Calisto" heraus.
Künstlerischer Leiter der Innsbrucker Festwochen
In Innsbruck überraschte er die Musikwelt mit der Wiederentdeckung von Telemanns "Orpheus" und dem fulminanten "Solimano" Hasses. Darüber hinaus leitete Jacobs auch viele Oratorienaufführungen, u. a. von Bachs "Weihnachtsoratorium" im Wiener Musikverein und von Händels "Saul" in mehreren europäischen Musikzentren.
Seit 1991 ist René Jacobs Opernchef der Innsbrucker Festwochen, deren künstlerische Leitung er inzwischen ebenfalls übernommen hat. An der Berliner Staatsoper Unter den Linden ist er Principal Guest Conductor und betreut das vorklassische und klassische Repertoire. So wurde Händels "Rinaldo" von der Zeitschrift "Opernwelt" 2004 zur "Inszenierung des Jahres", die in Innsbruck entstandene CD des Werks zur "Opernaufnahme des Jahres 2004" gekürt.
Auch gefragter Konzert-Dirigent
Auch als Konzert-Dirigent von u. a. symphonischem Repertoire bis hin zu Schubert feiert Jacobs heute große Erfolge in Musikzentren wie London, Paris, Köln und Salzburg. Er leitet die bedeutendsten Orchester der historisch informierten Aufführungspraxis wie das Orchestra of the Age of Enlightment, die Akademie für Alte Musik Berlin, Concerto Köln und das Freiburger Barockorchester.
Im Laufe der Jahre hat René Jacobs mehr als 250 Aufnahmen eingespielt, von denen zahlreiche mit hohen Preisen ausgezeichnet wurden. So erhielt er für Mozarts "Figaro" 2004 den begehrten Grammy, den so genannten "Oscar der klassischen Musik". Im Jänner 2006 wurde seine CD-Produktion von Händels "Saul" auf der MIDEM in Cannes als beste Aufnahme der Sparte "Barock" ausgezeichnet.
CD-Tipp
Pietro Antonio Cesti, "Pasticcio", ORF Edition Alte Musik, erhältlich im ORF-Shop
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