Unverwechselbarer und überragender Künstler

Jon Vickers ist 80

Im Vergleich mit seiner Intoleranz und Wildheit war Maria Callas ein Lamm: Jon Vickers, einer der bedeutendsten Heldentenöre, der am 29. Oktober 80 wurde. An der Wiener Staatsoper war der Kanadier, ein Lieblingssänger Karajans, nur 67 Mal zu erleben.

Er war zweifellos einer der bedeutendsten Helden-Tenöre in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: der Kanadier Jon Vickers. Mag sein, dass seine Stimme, sein Timbre, im ersten Moment vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig waren, ebenso wie seine stets sehr individuelle Phrasierung. Gerade das aber hat Jon Vickers immer unverwechselbar gemacht und ihn rasch zu einer überragenden Künstlerpersönlichkeit reifen lassen.

Jon Vickers stammt aus Price Albert in Kanada, wo er am 29. Oktober 1926 zur Welt kam. Sein richtiger Name lautete Jonathan Stewart, daher also kommt das John ohne "H" in der Mitte. Schon als Kind hat er öffentlich gesungen. "Meine Familie war so etwas wie eine kanadische Trapp-Familie. Sieben Geschwister und die Eltern, alle musikalisch, aber ohne besondere Ausbildung. Wir gruppierten uns um das Klavier und sangen vierstimmig, mehr oder weniger nach dem Gehör. Und wir haben dann sehr viel in Kirchen gesungen, aber auch in Gefängnissen, in Krankenhäusern, weil mein Vater fand, wir hätten eigentlich die Verpflichtung, für die Menschen etwas Gutes zu tun ... ", so etwa beschrieb Jon Vickers bei einem Künstlergespräch der Opernfreunde 1987 seine Jugend.

Studium in Toronto

Schließlich hat er dann aber am Konservatorium in Toronto ein ernsthaftes Studium begonnen, das sieben Jahre dauerte. Nebenbei arbeitete er in einem Kaufhaus, bis er - Schritt für Schritt - sehr behutsam in die Karriere hineingewachsen ist.

Start als Oratoriensänger, Bühnen-Debüt 1954

Zunächst hat Vickers in seiner Heimat als Oratoriensänger gewirkt, hat beim Rundfunk auch schon einige Opernpartien gesungen, bis er schließlich 1954 den Sprung auf die Bühne gewagt hat: beim Toronto Opera Festival und zwar als Herzog in Verdis "Rigoletto".

Im Folgejahr sang er dort auch den Alfredo gesungen - und zwar sowohl den in Verdis "La Traviata", wie jenen in der "Fledermaus" von Johann Strauß. Und nebenbei war er immer wieder beim kanadischen Rundfunk und Fernsehen aktiv - auch in Rollen, die er später nie auf der Bühne verkörpert hat, wie z. B. als Cavaradossi in Puccinis "Tosca" oder als Manrico in Verdis "Troubadour".

Karriere-Start an der Covent Garden

Zu dieser Zeit plagten Jon Vickers allerdings ernsthafte Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer Sängerkarriere: "Wahrscheinlich wäre es gescheiter, auf einer Farm zu arbeiten", meinte er damals zu seiner Kollegin Regina Resnik.

Doch seine künstlerische Durststrecke sollte bald darauf zu Ende sein. Vickers erhielt ein Engagement an die traditionsreiche Covent Garden Opera in London - und von dort aus eroberte er sich bald ebenso die meisten anderen wichtigen Opernhäuser der Welt.

Der "Schwierige" ein Lieblingssänger Karajans

Von größter Bedeutung für seine Karriere war zweifellos auch die Begegnung mit Herbert von Karajan, zu dessen Lieblingssängern er lange Zeit gehörte:

"Er ist ein schwieriger Mensch. Über jede Rolle macht er sich viele Gedanken ... auf der Bühne aber wirkt er ungeheuer imposant. Seine großen Rollen - Tristan, Othello - krönt er durch eine einzigartige musikalische Phrasierung. Mag sie auch eigenwillig sein, sie ist immer wohldurchdacht. Bei so vielen Sängern geht die Musik immer in ein und dieselbe Richtung; bei Vickers fällt sie stets individuell aus, ist jedes Mal etwas Besonderes", hat sich Herbert von Karajan später über Jon Vickers geäußert.

Vickers deutsches Repertoire

Das Bühnen-Repertoire von Jon Vickers war einerseits breit gefächert, andererseits aber auch merkwürdig eingeschränkt. So hat er z. B. von Wagner immer wieder Siegmund, Parsifal und Tristan gesungen, während er andere interessante Wagner-Partien streng gemieden hat - wie z. B. Siegfried oder Tannhäuser.

Dabei hätte man sich gerade eine psychologisch so anspruchsvolle Rolle wie den Tannhäuser von ihm besonders eindrucksvoll vorstellen können, er hat ihn auch studiert, geprobt, sich dann aber doch unmittelbar vor der Premiere zurückgezogen.

Italienische und französische Rollen

Im italienischen Repertoire waren Othello und Bajazzo seine eindrucksvollsten Partien, im französischen Fach der Don José und Samson. Aber selbst an der Wiener Staatsoper, wo er zwischen 1959 und 1987 leider nur 67 Mal aufgetreten ist, hat er etwa auch Andrea Chenier, Radames oder Don Carlos gesungen.

Und an der Met hat er im Zenit seiner Karriere sogar eine reine Charakterrolle wie den Wenzel in Smetanas "Verkaufter Braut" übernommen.

1988 Abschied von Bühne und Podium

Vickers war jedenfalls stets für eine Überraschung gut und wagte sich immer wieder auch an heikle Liedprogramme, so z. B. an Schuberts "Winterreise", die vielleicht nicht jedermanns Geschmack sein wird, die aber doch eine tiefe Auseinandersetzung mit diesem diffizilen Werk zeigt. 1988 zog sich Jon Vickers von Bühne und Podium zurück.

"Einzigartige Kraft der Evokation"

Interessant ist vielleicht auch noch die Meinung des deutschen "Sängerpapstes" Jürgen Kesting:

"Wie Callas vermittelt auch Vickers' Singen weniger schöne Erlebnisse als schmerzliche Erfahrungen: Leid-Erfahrungen. Hat man ihn als José, als Aeneas, als Florestan, als Othello oder Tristan gehört, so bewahrt die Erinnerung nicht einzelne schöne Töne oder Klänge, sondern ein Bild von größter Eindringlichkeit. In seinem Singen steckt eine Kraft der Evokation, ja der Beschwörung, die einzigartig ist und vokale Schwächen nebensächlich macht."

Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 31. Oktober 2006, 15:06 Uhr

Links
Opernwelt - Eine Hommage zum 80. Geburtstag von Jon Vickers
Wikipedia - Jon Vickers
Herbert von Karajan
Freunde der Wiener Staatsoper
Herbert von Karajan
Metropolitan Opera
Royal Opera House Covent Garden
Salzburger Festspiele
Teatro alla Scala
Wiener Staatsoper