Der wahre Kern hinter Legenden

So war es wirklich

Anlässlich des Nationalfeiertags sind Konrad Kramar und Georg Mayrhofer daran gegangen, "wahre" Geschichten, die den Österreichern im Lauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte lieb und wert geworden sind, auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

"Mythen in process"

Der liebe Augustin, der im Rausch die Pestgrube überlebte, die Habsburger-Kaiser und ihre gutmütige Heiratspolitik, später Außenminister Leopold Figl, der das Lied von der "Reblaus" anstimmte, um die russische Besatzungsmacht zu erweichen, oder auch der heldenhafte Freiheitskämpfer Andreas Hofer: Sie alle sind unverzichtbare Protagonisten jener Mythen, die das österreichische Selbstverständnis ausmachen.

Beim Wühlen im Mythenschatz der Historie sind die beiden Autoren Konrad Kramar und Georg Mayrhofer auf einige erhellende Tatsachen gestoßen. Das beginnt bei den Habsburgern - der Satz "Du, glückliches Österreich, heirate" stammt von einem Ungarn - über den größten Helden Westösterreichs, Andreas Hofer - "dessen Geschichte zwar stimmt, aber der im Prinzip nichts anderes war als ein extrem überforderter Mensch und ein ziemlicher Alkoholiker", so Konrad Kramar -, bis zur Schlacht von Königgrätz: Die an Schüler weitergegebene Information lautet, dass Preußen gewonnen hat, weil sie über Zündnadelgewehre verfügten, also die bessere Technologie hatten. Der Sieg habe aber nichts mit technologischer Überlegenheit zu tun, widerspricht dem Kramar, "sondern hauptsächlich damit, dass die k. und k. Armee ihre eigenen Leute unausgebildet dort hingeschickt hat und einfach verrecken hat lassen."

Die Reblaus und der österreichische Staatsvertrag

Im verklärten Blick auf die Vergangenheit wird alles besser, größer und heldenhafter. Um nationale Identität zu stiften, wird nur selten auf die trockenen Fakten der Geschichtsbücher verwiesen, viel öfter wird die Realität in anekdotischer Form serviert: "A guates Gschichtl" ist halt allemal besser als die schwer überschaubare Geschichte, bestätigt Konrad Kramar. Insofern verbiegt man eben gern die Wahrheit ein bisschen, um sie dem Wunschbild anzupassen.

Jede Gesellschaft, jede Kultur braut sich ihre eigene Vergangenheit zusammen. Je vorteilhafter und praktischer der jeweilige Mythos, desto dauerhafter ist er.

Die Geschichte von der Reblaus und dem österreichischen Staatsvertrag glaubt jeder über die berühmte Karikatur von E. H. Köhler mit der Bildunterschrift "Und jetzt, Raab - jetzt noch d' Reblaus, dann sans waach!" zu kennen. Diese Szene kann aber so gar nicht stattgefunden haben, "einfach aus dem Grund, dass an dem Abend, als die österreichische Delegation in Moskau den Staatsvertrag verhandelt hat, der arme alte und damals schon gesundheitlich schwer angeschlagene Außenminister Figl um 8 Uhr ins Bett gegangen ist, weil er wie üblich seine ziemlich hohe Dosis Alkohol bereits intus hatte und schlicht und einfach nicht mehr stehen konnte", erzählt Kramar und legt auch gleich die Quellen seines Wissens offen: "Sie finden das nicht nur in den Aufzeichnungen seines Widersachers, des SPÖ-Vizekanzlers Schärf, sie finden es in vielen Biografien über Figl - versteckt, ein bisschen unterspielt, aber es ist da. Figl ist am nächsten Tag in der Früh aufgestanden und hat gefragt: War irgendwas letzte Nacht?, und hat vom Schärf brühwarm serviert bekommen, ja, es war was, wir haben den Staatsvertrag ausverhandelt."

Schranz doch kein Märtyrer

Nicht alle werden indes zu Helden verklärt, manche Figuren kommen in der Überlieferung schlechter weg, als sie es verdient hätten, etwa der mutmaßliche Mozart-Mörder Antonio Salieri, der ein großer Förderer der Künste, Gründer des Musikvereins, Lehrer von Cerny, Beethoven, Schubert, Meyerbeer und anderen, also fast allen bedeutenden Musikern des 19. Jahrhunderts war, und ein ausnehmend netter Zeitgenosse gewesen sein soll.

Die Legende vom schifahrenden Märtyrer Karl Schranz wiederum muss zu ungunsten des Protagonisten umgeschrieben werden, denn Schranz war keineswegs ein unschuldiger Amateur, der vom bösen IOC-Chef von den Olympischen Spielen in Sapporo ausgeschlossen wurde. Kramars Recherchen ergaben, dass er "nicht nur ein millionenschwerer Vollprofi, sondern vor allem ein Sprecher jener Fraktion war, die für das Ende des Amateur-Status und für die Einführung des echten Profitums im Schisport war. Schranz hat seinen Ausschluss quasi wissentlich und willentlich herausgefordert."

Keine "Aufdecker der Nation"

Um voreiliger Verehrung, etwa als "Aufdecker der Nation", entgegenzuwirken, geben sich Konrad Kramar und Georg Mayrhofer betont bescheiden. Den im Buch angeführten Wahrheiten haben sie keineswegs mühselig nachspüren müssen, sämtliche Quellen wären jederzeit und jedermann zugänglich, in den meisten Fällen sogar in erfolgreich publizierten Büchern nachzulesen. "Es will offensichtlich nur nicht wahrgenommen werden", so ihr Schlusswort.

Hör-Tipp
Leporello, Montag bis Freitag, 7:52 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Konrad Kramar, Georg Mayrhofer, "Und keiner sang die 'Reblaus'. Die Wahrheit über Leopold Figl, Andreas Hofer und andere österreichische Mythen", Verlag Ueberreuter 2006, ISBN 3800071991

Link
Demokratiezentrum - Reblaus-Karikatur