Kleine Geschichten aus Bosnien

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Sasa Stanisic breitet in vielen kleinen Geschichten einen bunten, überschäumenden Bilderbogen des Lebens in Bosnien aus, bis der Krieg alles verändert. Dabei hat Stanisic Teile seiner eigenen Biografie als Flüchtling eingearbeitet.

"Ich komme aus einem Kulturkreis, in dem Geschichtenerzählen so etwas wie eine Charaktereigenschaft ist", so Autor Sasa Stanisic über die Inspiration zu seinem Debütroman. Tatsächlich ist das Buch aus vielen einzelnen Geschichten zusammengesetzt, die schließlich ein großes Ganzes ergeben.

Schon als Kind lebt Aleksander, der Protagonist, in seiner Phantasie, sieht sich als den größten Fähigkeitenzauberer von Visegrad und versucht vergeblich, den verstorbenen Opa Slavko mit seiner Magie wieder zum Leben zu erwecken. Mit dem Bosnien-Krieg findet zwar Aleksanders Kindheit ihr Ende, nicht aber seine Lust am Fabulieren.

"Gibt es irgendwo Geschichten, bin ich sofort irgendwo", sagt er von sich selbst. Erst am Ende muss er entdecken, dass die Grenze zwischen Wahrheit und Erfundenem für ihn kaum mehr erkennbar ist - dass er zum Gefangenen seiner Geschichten zu werden droht. "Mir ging es darum, einen jungen Mann in dem Konflikt zwischen Wahrheit und der Suche nach der Wahrheit zu zeigen, und des Unvermögens, diese Wahrheit zu finden", erzählt Stanisic.

Gefangen zwischen Fantasie und Wirklichkeit

Zunächst aber breitet Sasa Stanisic durch seinen Protagonisten einen bunten, überschäumenden Bilderbogen des Lebens in Bosnien aus, wo Feste zur Einweihung von Innentoiletten gefeiert werden, Aleksander mit seinem Freund versucht, Frösche zum Explodieren zu bringen und Tito gleich mehrere Tode stirbt.

Die kindliche Erzählperspektive ändert sich, nachdem Aleksanders Eltern mit ihm nach Deutschland geflohen sind und er lange Briefe an das Mädchen Asija schreibt. Nach einiger Zeit weiß Aleksander selbst nicht mehr genau, ob Asija wirklich existiert.

Liebe Asija, habe ich dich erfunden? Habe ich unsere Hände an den Lichtschalter geführt wegen einer rührenden Geschichte über Kinder im Krieg? Du hast mir deinen Nachnamen nie verraten, trotzdem adressierte ich jenen Brief, als hätte ich ihn gekannt. Ich erinnere mich an den Morgen des Soldatenreigens. Die Stadtarchitektur hat aus Regenwolken, Tarnfarben und Glassplittern bestanden. Edin und ich wollten etwas völlig Normales machen, etwas so Einfaches spüren wie das Gewicht eines Fisches an der Angel. Du kommst nicht vor. Nicht verängstigt im Treppenhaus, nicht Steine in den Fluss werfend, ich sehe dein schönes Haar zwischen den gemächlich plündernden Soldaten nicht. Du bist nicht mitgekommen, wir haben nie Abschied genommen, Asija.

Suche nach der Kindheit

Nach Kriegsende kehrt Aleksander nach Bosnien zurück, auf der Suche nach Asija und nach seiner Kindheit; er spricht mit Opfern und Tätern. Sasa Stanisic lässt offen, ob sein Protagonist schließlich an sein Ziel kommt.

In Aleksanders Geschichte hat Sasa Stanisic Teile seiner eigenen Biografie eingearbeitet. Auch seine Familie floh vor dem Krieg nach Deutschland und auch Stanisic machte sich lange Zeit über eine mögliche Rückkehr Gedanken. So war die Arbeit an seinem Buch für ihn auch so etwas wie eine Befreiung von den eigenen, bislang nicht ausformulierten Erinnerungen.

Absurd-originelle bosnisch-deutsche Melange

Was Stanisics Buch zu einer ganz besonderen Lektüre macht, ist seine Sprache, eine absurd-originelle Melange aus deutschen Sätzen mit bosnischem Farbklang, grammatikalisch korrekt, manchmal geradezu poetisch, aber geschrieben in einer ungewöhnlichen Schräglage. Erst mit 14 Jahren lernte Stanisic Deutsch, und vielleicht deshalb beherrscht er das Spiel mit seinen beiden Sprachen bis zur Perfektion:

"All diese Figuren sind ja eigentlich in Bosnisch gehalten", so Stanisic. "Das Erzählen ist bosnisch, die Dialoge sind bosnisch, aber nein, die Sprache, in der ich das Buch geschrieben habe, ist Deutsch. Es ist aber ein Deutsch, über das auch ein Deutscher nachdenken kann, weil es ein Ausländer geschrieben hat, der bewusst diese Sprache gelernt hat und der bewusst jedes von diesen kleinen Dingen setzt."

Anregung zum Dialog

Herausgekommen ist ein Buch, das auf zwei Ebenen zu bestechen weiß: auf der inhaltlichen sowieso, wenn es die ganze Absurdität eines blutigen Krieges mit den kleinen und großen Alltagsgeschehnissen, sowie der Phantasie eines Heranwachsenden vermengt, und auf der sprachlichen, wo es neue Wege geht und das Deutsche im Bosnischen spiegelt.

Letztlich aber will Sasa Stanisic nicht nur die Geschichte seiner Heimat ins Bewusstsein des Leser rufen, sondern auch und vor allem einen Dialog anregen: "Ich möchte wirklich gerne, dass jemand sich wirklich Gedanken darüber macht, was ist da passiert in Sarajewo? Ich möchte einen Leser, der den Dialog sucht. Den wünsche ich mir auch, weil das eine Art Antwort auf mein Buch ist."

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Sasa Stanisic, "Wie der Soldat das Grammofon repariert”, Luchterhand Literaturverlag, 2006, ISBN 3630872425