Chris Tina Tengel über die New Yorker MET
Opern online
Es ist an sich nichts Neues, dass Opernhäuser ein "breiteres Publikum" erreichen wollen. Neu sind die technischen Mittel, die ihnen dafür zur Verfügung stehen. Derzeitige Vorreiterin, auch im Internet, ist die Metropolitan Opera New York.
8. April 2017, 21:58
3800 Plätze hat die Metropolitan Opera New York. Spätestens seit 9/11 sind Auslastungszahlen wie früher - um die 95 Prozent - unerreichbar geworden, in der vergangenen Saison wurden gerade noch 77 Prozent der Karten verkauft. Zwar wurde im Sommer noch der vom Haus-Handwerker zum Langzeit-Intendanten der MET aufgestiegene Joseph Volpe mit einer stargespickten Gala würdig in den Ruhestand verabschiedet, doch die Medienoffensive seines Nachfolgers als General Manager, Peter Gelb, war bereits in Vorbereitung.
Gelb, der in seinem beruflichen curriculum vitae Positionen bei der Künstleragentur Columbia Artists und beim Plattenlaben Sony Classical vorzuweisen hat, schießt scharf - und hat allen Protektionismus, wie er Plattenproduzenten zur zweiten Natur wird, abgelegt.
Freikarten für alle
Nach vielen Jahren gab es zum season opening nicht primär prominente Sängernamen in plüschigem Ambiente, sondern eine Opern-Neuproduktion. Sie galt Giacomo Puccinis "Madama Butterfly" und brachte mit Anthony Minghella einen sonst für die Kinoleinwand tätigen (und für seine Verfilmung von "The English Patient" mit dem Oscar ausgezeichneten) Regisseur an die MET.
Dass die Generalprobe zu dieser Premiere öffentlich abgehalten wurde, war die nächste Novität: Freikarten für alle, die rechtzeitig kamen, ein randvolles Haus, großes Echo in den Zeitungen, die im Publikum von der Oma mit Enkelkind bis zum Gefängniswächter hundert Paradefälle von sonst opernfernen Besuchern ausmachte. Die Saison-Eröffnungspremiere, die Galavorstellung selbst wurde dann zeitgleich auf Riesenleinwände am Lincoln Center Plaza und am Times Square übertragen, wiederum mit einem Massen-Zulauf an Interessenten. Ein erster Sieg für Peter Gelb, dessen Vorhaben bei seiner Einführungs-Pressekonferenz noch etwas anämisch gewirkt hatten.
Peter Gelbs Radio-Offensive
Wer diese "Madama Butterfly" live miterleben wollte, aber nicht nach New York kommen konnte, musste nicht leer ausgehen. War vor zwei Jahren noch Endzeitstimmung angesagt, als Texaco, der Konzern, der über Jahrzehnte die wöchentlichen landesweiten Radioübertragungen der Samstags-Opernmatineen der Metropolitan gesponsert hatte, seinen Rückzug als Financier bekannt gab - die unvergessene Beverly Sills initiierte daraufhin eine Kollekte im MET-Freundeskreis, um die Finanzierung zumindest noch eine Saison länger sicherzustellen -, hat es Peter Gelb geschafft, dass die Metropolitan Opera ab der Spielzeit 2006/7 bis zu viermal wöchentlich live im Radio präsent ist.
Täglich bis zu sechs komplette Opern
Die MET verbündet sich zu diesem Zweck mit dem Satelliten-Radiobetreiber Sirius, der von News, Sport und Entertainment bis zu Musik Dutzende von Spartenkanälen im Angebot hat, und in der Rubrik Musik eine Bandbreite von Christian bis Hip-Hop, mit Classical inmitten. Seit diesem Dezember bietet Sirius nun das Metropolitan Opera Radio an, einen eigenen Kanal, der - mit etwas Opern-Füllmusik dazwischen - täglich bis zu sechs komplette Opern aus der MET ausstrahlt.
Wer sich ein Sirius-Abonnement leistet - von knapp 13 Dollar pro Monat aufwärts -, wer sich eines der portablen Empfangsgeräte von Sirius (im iPod-Stil) aussucht, bekommt zusätzlich zu den erwähnten bis zu vier Live-Übertragungen aus der MET (die zu anderen Tageszeiten im Rotationsbetrieb wiederholt werden) auch noch jede Menge historischer MET-Mitschnitte ins Haus geliefert, mit den früheren (bereits legendären) Original-Moderationen. Alle aktuellen Sendungen werden so hochprofessionell moderiert, wie man das bisher als Hörer der Samstag-Matineen gewohnt war.
Die MET im Internet
Und wer nicht extra in ein Sirius-Portable investieren will, wer das Gefühl, "dabei" zu sein, ohnehin nur in den eigenen vier Wänden genießen will, kann diesen live-stream natürlich auch am Computer empfangen; dafür bietet Sirius eigene Konditionen an. Eine dreitägige Testphase wird kostenlos angeboten.
Die Frage, ob das alles nicht in einem irrwitzigen Ausverkauf der Marke MET enden wird, ist einstweilen nicht zu beantworten. Wird sich die Attraktion abnützen, sobald klar wird, dass vieles, was so Verbreitung findet, auch an der namhaften Metropolitan Opera schlicht "Repertoirebetrieb" ist?
Jedenfalls ist kein Opernhaus der Welt mit der Ausweitung seines Wirkungsbereichs und mit der Einbeziehung neuer Medien einstweilen ähnlich weit gegangen. (Und wird noch weiter gehen: Zum Drüberstreuen werden ab Dezember ausgewählte Matineevorstellungen der MET via High Definition TV auch optisch in eine Reihe von Großkinos in den USA und in Europa übertragen werden - zwar nicht bei freiem Eintritt, aber doch zu Kartenpreisen, die einen Bruchteil der Kosten für eine Opernkarte bester Kategorie ausmachen.)
Oper und Neue Medien - die Zukunft?
Nur Ansätze gibt es. Beispiel 1: Die Los Angeles Opera, mit ihrem künstlerischen Leiter Placido Domingo an führender Stelle, hat die sensationell verlaufene Premiere von Jules Massenets "Manon" mit Anna Netrebko und Rolando Villazon (Regie: der Madonna-Show-erprobte Vincent Paterson) zum Anlass genommen, um auf ihrer Homepage eine Podcast-Serie "Behind the Curtain at the LA Opera" starten, die San Francisco Opera bietet ähnliches.
Opern-TV online
Beispiel 2: Die Bayerische Staatsoper offeriert, ebenfalls über ihre Homepage, zu jeder Opern-Neuproduktion ein längeres Video mit Szenenausschnitten und Künstlerinterviews, das als "Opern-TV" bezeichnet wird. Also wieder eine "aufklärerische" Initiative, die nicht den Thrill des unmittelbaren Miterlebens bietet, wie Peter Gelb es seinen Radio-Abonnentinnen und -Abonnenten und bald den MET-Kinobesuchern verspricht.
Es könnte spannend werden, zu beobachten, ob Gelbs "Mitbewerber" um die Gunst der Opernfans nicht doch sehr rasch auf den fahrenden Zug aufspringen. Noch steht das Konzept "Wirkung in die Breite" gegen das Konzept "Wirkung in die Tiefe", wie es beispielsweise das Opernhaus Zürich anwendet, das unter Alexander Pereiras Leitung voll auf die DVD-Verwertung ausgewählter Neuproduktionen gesetzt hat, also viel strengere Qualitätskriterien anlegt. Am Interesse an der Gattung Oper und an aktuellen Aufführungen fehlt es sicher nicht: Bei den jüngsten Live-Übertragungen aus der Wiener Staatsoper findet man unter den rund 25 angeschlossenen Stationen auch das USA-weit ausstrahlende National Public Radio.
Hör-Tipp
Wolfgang Amadeus Mozart: "Die Zauberflöte", Samstag, 21. Oktober 2006, 19:30 Uhr
Links
Bayerische Staatsoper - Opern-TV
Sirius - Metropolitan Opera Radio
Metropolitan Opera New York
Los Angeles Opera
National Public Radio