Die Doyenne der österreichischen Jugendliteratur
Christine Nöstlinger ist 70
Zur Autorin wurde sie aus Langeweile: Nur Haushalt und die beiden Kinder, das war Christine Nöstlinger nicht genug. Sie zeichnete und schrieb die Kindergeschichte "Die feuerrote Friederike" - und landete einen durchschlagenden Erfolg. Heute wird Nöstlinger 70 Jahre alt.
8. April 2017, 21:58
Figuren wie "Die feuerrote Friederike", "Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse" oder "Gretchen Sackmeier" sind längst internationale Klassiker wie "Tom Sawyer", "Pippi Langstrumpf" oder "Peter Pan".
Mit ihren witzigen, antiautoritären Büchern hat die gebürtige Wienerin Christine Nöstlinger Kinderliteraturgeschichte geschrieben. In mehr als 20 Sprachen übersetzt und international prämiert wurden zahlreiche ihrer weit über 100 Erzählungen, Bilderbuchgeschichten und Romane. Vor drei Jahren war sie die erste Autorin, die mit dem hoch dotierten Astrid-Lindgren-Gedächtnispreis geehrt wurde.
Anwältin der Menschenrechte
Häufig wird Nöstlinger als literarische Anwältin der Kinder bezeichnet. Nicht von ungefähr war Nöstlinger von 1997 bis 1999 Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation "SOS Mitmensch". "Ich bin ein Kind und habe ein Recht auf alles Kindliche! (...) Ich habe ein Recht darauf, glücklich zu sein! (..) Ich muß mich nicht dauernd danach richten, was Erwachsene wollen! Ich bin ein freies Kind und weiß selbst am besten, was für mich gut ist", heißt es in "Hugo, das Kind in den besten Jahren" (1984). Eine solche Einstellung markierte in Nöstlingers Anfangsjahren eine Zäsur innerhalb der Tradition der Zeigefinger-Kinderbuchliteratur und traf den liberalen Nerv der Generation nach 1968.
Ihr neues Buch heißt "Leon Pirat" und handelt von einem kleinen Jungen, der glaubt, seinen Vater nur glücklich machen zu können, wenn er in dessen Fußstapfen als Pirat tritt. Viel lieber würde Leon Koch werden, doch von diesem Beruf hält der Vater nichts. Seine Devise: "Kochen kann jeder!" Doch es wäre nicht Christine Nöstlinger, wenn die Wünsche des Kindes am Ende nicht obsiegen würden. Ob dieser Druck, den Vorstellungen der Eltern gerecht zu werden, trotz der großen Aufklärung in den vergangenen Jahrzehnten immer noch besteht? "Ja, da hat sich leider nichts geändert. Die Eltern zufrieden stellen zu wollen, hat mit dem stetigen Ringen um Anerkennung zu tun", so Nöstlinger. Auch sie selbst hat sich nicht gleich für einen Beruf entscheiden.
Von der Grafik zur Literatur
Die am 13.Oktober 1936 geborene Tochter eines Uhrmachers und einer Kindergärtnerin wollte ursprünglich zur bildenden Kunst. Weil sie sich - nach dem Studium der Gebrauchsgrafik an der Akademie für angewandte Kunst in Wien - als Hausfrau und Mutter zweier Töchter langweilte, zeichnete und schrieb sie "Die feuerrote Friederike" (1970). Vor allem der Text war aber so erfolgreich, dass sie sich fortan dem Schreiben widmete. Nöstlinger setzt sich auf humorvolle Weise mit problematischen Themen auseinander, sie kombiniert realistische Milieuschilderung, Sozialkritik und Fantastik, in einer Sprache mit Dialektanklängen und eigenwilligen Neuschöpfungen.
Als eine der ersten deutschsprachigen Autorinnen von Jugendbüchern reflektierte sie in den autobiografischen Romanen "Maikäfer, flieg" (1973) und "Zwei Wochen im Mai" (1981) Erinnerungen an die Kriegs- und Nachkriegszeit. Weitere Titel für Kinder sind "Die Kinder aus dem Kinderkeller" (1971), "Achtung, Vranek sieht ganz harmlos aus" (1974), "Rosa Riedl Schutzgespenst" (1979), "Anna und die Wut" (1990) oder "Villa Henriette" (1996).
Zahlreiche Bücher wurden auch verfilmt, darunter "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig" (1975), "Ein Mann für Mama" (1972) und "Die drei Posträuber" (1998) und zuletzt "Villa Henriette" (2004). "Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse" hat es (allerdings ziemlich "bearbeitet") sogar auf den US-Videomarkt geschafft - ein Detail aus der aufschlussreichen Nöstlinger-Werkmonografie von Sabine Fuchs (Dachs Verlag).
Die höchst produktive "Buchstabenfabrik" (Nöstlinger über Nöstlinger) verfasste auch selbst Drehbücher, Hörspiele und Theaterstücke und arbeitete - unter anderem als Literaturkritikerin - für den Rundfunk und diverse Zeitungen und Magazine. Für den ORF kreierte sie unter anderem 1979 die Hörfunkserie "Dschi-Dschei-Wischer" und Rudi, den Radiohund.
Arbeiten für die Großen
Zu Nöstlingers bekanntesten Texten für Erwachsene zählen die Dialekt-Gedichtbände "Iba de gaunz oaman Kinda" (1974), "Iba de gaunz oaman Fraun" (1982) und "Iba de gaunz oaman Mauna" (1987). An Sachbüchern erschien unter anderem "Ein Hund kam in die Küche. Kleines Köchelverzeichnis für Männer" (1996) und "ABC für Großmütter" (1999). Dem auch von Nöstlinger oft beschriebenen Muster, dass Eltern eigene unerfüllte Lebenswünsche auf ihre Kinder projizieren, konnte sich die Autorin übrigens möglicherweise selbst nicht entziehen: Zu einer Reihe ihrer Bücher steuerten ihre beiden Töchter Christi(a)ne Nöstlinger und Barbara Waldschütz die Illustrationen bei.
Mit ihren Enkeln verbringt Nöstlinger viel Zeit, wenn sie in Wien sind: "Da gehen wir schon auch ins Kino." Kinderfilme, die sie im Kino sieht, haben aber keinerlei Auswirkung auf ihr Schreiben. Auch bei der Verfilmung von "Villa Henriette" im Jahr 2004 hatte sie ihre Finger nicht im Spiel. Lieber trägt sie dazu bei, dass Kinder Freude am Lesen gewinnen, was jedoch nicht immer funktioniert: "Dass es Kinder gibt, die nicht sinnerfassend lesen können, verstehe ich nicht. Sogar meine Enkel können das. Dass sie sich der Literatur verweigern, ist etwas anderes und nicht kontrollierbar." So weigere sich beispielsweise ihr neunjähriger Enkel, Kinderbücher zu lesen. "Der hat so viel anderes zu tun: Auf Bäume klettern, Speere schnitzen oder Kochen. Ein Buch nimmt er nur in die Hand, wenn er am Abend noch nicht schlafen gehen will."
Hör-Tipps
Rudi, Radio für Kinder, Freitag, 13. Oktober 2006, 17:25 Uhr
Mehr dazu in Ö1 Programm
Ö1 Extra, "Ein Abend für Christine Nöstlinger", Samstag, 14. Oktober, 23:45 Uhr
Mehr dazu in Ö1 Programm
Download-Tipps
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Reihe "Rudi" gesammelt nach Ende der Ausstrahlung der laufenden Woche und die Sendung "Ö1 Extra" nach Ende der Ausstrahlung jeweils 30 Tage lang im Downloadbereich herunterladen.
TV-Tipp
"Die 3 Posträuber", nach einer Vorlage von Christine Nöstlinger, Sonntag, 15. Oktober 2006, 9:30 Uhr, ORF 1
Mehr dazu in tv.ORF.at
Buch-Tipps
Christine Nöstlinger, "Romane für Kinder", mit Vignetten von Philipp Waechter, Beltz, ISBN 3407799179
Christine Nöstlinger /Thomas M. Müller, "Leon Pirat", Beltz, ISBN 3407793529
CD-Tipps
Christine Nöstlinger, "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig". Gelesen von Stefan Kaminski, Musik von Jean-Peter Pflug, Beltz, ISBN 3407809875
"Menschenbilder: Christine Nöstlinger, Astrid Lindgren", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop
Veranstaltungs-Tipps
"Ein Abend für Christine Nöstlinger", Freitag, 13. Oktober 2006, 19:00 Uhr, RadioKultuhaus
Mehr dazu in Ö1 Kulturkalender
"Rosa Riedl, Schutzgespenst" von Christine Nöstlinger in einer Fassung von Ulla Theißen, Premiere: 28. November 2006, 16 Uhr, Renaissancetheater Wien
Links
Beltz
Theater der Jugend