Gesamtheitliches Gestalten
Social Design
Sozial- und umweltbewusste Designer sehen Design immer häufiger als multidisziplinäre, gesamtheitliche Angelegenheit, die den Benutzer in den Mittelpunkt rückt und vor allem auch Aspekte wie Ökologie oder Soziologie direkt miteinbezieht.
8. April 2017, 21:58
"Es geht nicht um die Welt des Designs, sondern um das Design der Welt": Der Kanadier Bruce Mau brachte mit diesem Statement den Begriff Social Design auf den Punkt. "Massive Change" hieß sein 2004 erschienenes "Manifest für die Zukunft globalen Designs". Darin geht es wahrlich nicht um die Gestaltung formschöner Zitruspressen oder eleganter Designersessel, sondern um nichts weniger als die verschiedensten interdisziplinären Gestaltungsansätze für eine neue, sozialere und damit bessere Welt.
Diesen Weg schlagen sozial- und umweltbewusste Designer immer häufiger ein: Design als multidisziplinäre, gesamtheitliche Angelegenheit sozusagen, als Gestaltung einer Umwelt, die den Benutzer in den Mittelpunkt rückt und vor allem auch Aspekte wie Ökologie oder Soziologie direkt miteinbezieht.
Design für die Anwender
"Social Design ist keine eigene Disziplin, es ist eher ein Blick auf die Welt, der eine Perspektive verlangt, die den Menschen in den Mittelpunkt setzt." So Nikolas Beucker, Professor für Social Design an der Hochschule Niederrhein in Krefeld.
Dieser - von Pragmatikern gelegentlich als "weltverbesserisch" und "utopisch" ein wenig belächelte - Ansatz ist, wie gesagt, nicht neu. Er reicht zurück bis in die 1950er Jahre. 1951 erschien Henry Dreyfuß' Buch mit dem Titel "Designing for People", in dem der Autor vehement auf die weit reichende soziale Verantwortung seiner Zunft aufmerksam machte.
In den 1960er Jahren traten etwa Richard Buckminster Fuller und der 1925 in Wien geborene Victor Papanek als Kritiker der sich modernisierenden, allzu glatten Lebenswelten auf. Vor allem Papanek forderte so etwas wie Moral in der Welt der Designer ein, die, wie er meinte, für ihre Produkte und deren umwelt- und benutzertechnischen Nebenwirkungen die volle Verantwortung zu tragen hätten:
Den Lippenstift für eine ehrliche Hure zu entwerfen ist die eine Sache. Aber ein Deodorant für ihren Zuhälter zu kreieren, die andere.
Disziplinübergreifende Entwürfe
Social Design befasst sich allerdings nicht nur mit einzelnen Produkten oder Gegenständen, sondern reicht von der Gestaltung von Benutzeroberflächen, Computersoftware bis hin zum Städtebau. Social Design kann nur dann entstehen, wenn das Wissen vieler Fachleute gebündelt zum Einsatz kommt.
Design als Netzwerk also, in dem die unterschiedlichsten Persönlichkeiten die Fäden ziehen. So forderte etwa Bono, der Sänger der irischen Band U2, mächtige Unternehmen wie American Express, Armani und Gap dazu auf, Teile ihrer Produktserien mit dem Label "Red" zu branden und einen Teil des Erlöses der Welt-Aids-Hilfe zuzuführen. Ein Projekt, das tatsächlich umgesetzt wurde.
Selbst aktiv teilhaben
Im besten Fall ist Social Design etwas, von dem alle profitieren, Unternehmen und Benutzer gleichermaßen - und an dem man selbst aktiv teilhaben kann. Nur ein Beispiel dafür sind etwa die Online-Rezensionen auf den Seiten des Internet-Buchhändlers Amazon: Hier kann jeder seine Meinung zu Neuerscheinungen oder auch Klassikern posten und mit den Rezensionen anderer vergleichen.
Selbst die explizit der Wirtschaft und den multinationalen Konzernen dieser Welt verpflichteten Medien beginnen, den sozialen Ansatz von Design zwischen den Zeilen aufzugreifen. So schrieb etwa das renommierte "Business Week" unlängst in einem Kommentar, dass die vitalsten und sinnvollsten Lösungsansätze für die Probleme der ärmeren Länder aus den Favelas und Townships selbst kommen würden.
Bessere Alternativen kreieren
Der diesjährige Pritzkerpreisträger, der brasilianische Architekt Paulo Mendes da Rocha, erklärte in einem Interview, er halte die Slumbewohner seiner Heimat für die "besseren Architekten Brasiliens", weil sie aus den geringsten Mitteln das Bestmögliche ohne lange zu fragen produzierten.
Das freilich hat Victor Papanek bereits in den 60er Jahren gepredigt:
Wir müssen uns dem Offensichtlichen stellen! Es kostet mehr, die derzeit geläufigen Formen des Hässlichen zu produzieren, als bessere Alternativen zu kreieren. Wir werden dazu gezwungen sein - Sie können das mögen oder nicht - bessere, gesündere und Energie sparende Werkzeuge und Geräte zu entwickeln, weil wir uns keine anderen werden leisten können.
Social Design beginnt beim Käufer
Es gebe viele gefährliche Professionen, hat Victor Papanek einmal gemeint, doch die des Produktdesigners sei eine der gefährlichsten. Da aber Social Design, wie gesagt, auch bei der Mündigkeit von Käufern und Konsumenten, also bei uns allen beginnt, kann man aktiv daran teilhaben und - so Papanek, am besten gleich bei sich selbst damit anfangen und vor jedem Einkauf sein Gewissen erforschen.
Kann nicht etwas anderes, das Sie bereits besitzen, genau so diesen Zweck erfüllen?
Können Sie es mit jemandem teilen, es sich ausborgen oder mieten?
Können Sie es auch gebraucht kaufen?
Brauchen Sie das Ding wirklich, oder hat Ihnen die Werbung eingeredet, dass Sie es gerne hätten?
Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 7. Oktober 2006, 17:05 Uhr
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