Henry Smart in Amerika
Jazztime
"Jazztime" ist der mittlere Teil einer Romantrilogie, der Roddy Doyle den Titel "The Last Roundup" gab, mit dem Iren Henry Smart im Zentrum. Es ist die Geschichte einer Odyssee, einer atemlosen Jagd nach Geld, Glück und nacktem Überleben.
8. April 2017, 21:58
"Ich war am Leben, ich konnte noch kämpfen. ... Ich war Henry Smart", wird er am Ende sagen, der irische Rebell und Flüchtling, der kreuz und quer durch Amerika gestreift war, um hier sein Glück zu suchen. Es war 1924, als er in der "Neuen Welt" ankam - ein Killer aus Dublin auf der Flucht vor der IRA.
Wenn Henry Smart zwei Jahrzehnte und 500 Buchseiten später seinen amerikanischen Traum begraben wird, wird er sich in Roddy Doyles Roman "Jazztime" als laufende Reklametafel durchgeschlagen haben, aber auch als Werbetexter, Alkoholschmuggler, Leichenbestatter, Pornodarsteller und selbsternannter Zahnarzt.
Von einer Eskapade zur nächsten
"Jazztime" ist der mittlere Teil einer Romantrilogie, der Roddy Doyle den Titel "The Last Roundup" gab, mit Henry Smart als Verkörperung der irischen Identität im Zentrum. Eine Trilogie, die 1999 begann mit "Henry der Held", der Schilderung von Henry Smarts Leben bis zur Emigration nach Amerika.
Henry Smart ist 23, als er in Amerika ankommt. Er ist listig, verschlagen, großmäulig und selbstbewusst, er ist anpassungsfähig und sehr attraktiv und sich dabei seiner Wirkung auf die Damenwelt durchaus bewusst. Roddy Doyle bereitet es sichtlich Spaß, ihn von einer Eskapade in die andere, von einem Malheur zum nächsten taumeln zu lassen in seinem an Szenenwechseln, obskurem Personal und knalligen Dialogen reichen Amerikaroman.
Freundschaft mit Louis Armstrong
In Chicago, wo er sich als Packer in einer Fleischfabrik verdingt, verliebt sich Henry nicht nur in eine junge Schwarze, sondern auch in eine Musik, die er nie zuvor hörte und ihm die "Welt mit lustvoller Qual" zu erfüllen scheint: den Jazz. Der Jazz ist so ganz anders als die Balladen und Freiheitslieder seiner Heimat. Der Jazz steht für sein neues Leben und Henry glaubt, er könne ihn reinwaschen von den Sünden der Vergangenheit. Der Jazz hat einen Namen: Louis Armstrong.
Diese Musik war frei und ohne Worte, und der Mann mit der Trompete trieb sie voran und sah nicht zurück. Furios war sie, lustvoll und tödlich für jede andere Art von Musik.
Doyle macht aus seinem Helden nicht nur einen Armstrong-Fan, er macht Henry auch zu Satchmos Freund und rechter Hand - was pure Fiktion ist, genauso wie die Schilderung gemeinsamer Einbrüche in Zeiten mieser Geschäfte.
Typischer Roddy-Doyle-Sound
Die Armstrong-Passage ist vielleicht die stärkste, die lebendigste und farbigste von Roddy Doyles neuem Roman, der gefährlich viele Amerika-Topoi und Klischees abhandelt: Prohibition, Mafia, Jazz, Emigranten- und Vagantentum und Große Depression. Und dabei, wie das angefügte Literaturverzeichnis bekannt gibt, nicht ohne Wissen aus zweiter Hand auskommt.
Dass das dennoch eine Zeit lang gut geht, liegt am typischen Roddy-Doyle-Sound, jenem hochgetunten Erzählton, der klingen soll wie das pulsierende Leben selbst, geprägt von verbalen Kraftmeieren, stakkatoartigen Dialogen und eingängigen Bildern. Irgendwann aber wird der Leser der pausenlosen Kapriolen müde. "Jazztime" wirkt, je weiter sich der Roman entwickelt, umso kurzatmiger, kursorischer und flacher, die letzten Amerikajahre seines Helden schildert Doyle wie im Zeitraffer.
Ein Wirbel von Episoden
Mit jedem neuen Buch wolle er einen Schritt weitergehen als mit dem vorangegangenen, sagt Roddy Doyle, Irlands zurzeit wahrscheinlich erfolgreichster Schriftsteller. Nicht weil er mit jedem Buch ehrgeiziger werde, sondern weil er etwas Neues ausprobieren will.
Bei dem Versuch, die Verkörperung der irischen Identität vorzustellen durch einen Helden, der zugleich alles Irische loszuwerden trachtet, der der Vergangenheit zu entfliehen und zugleich das Glück von gestern zu finden sucht, hat der Autor jedoch ein dramaturgisches Konzept einem Wirbel von Episoden geopfert, den Mangel an Glaubwürdigkeit und Schlüssigkeit des Erzählten durch Überdrehtheiten und Übertreibungen der Erzählung kaschiert. Roddy Doyle hat bessere und spannendere Bücher geschrieben als "Jazztime". Darüber können auch dessen eindringlichste Passagen nicht hinwegtäuschen - jene der Jazzbegeisterung, der Begegnung und Freundschaft des Weißen Henry mit dem Schwarzen Louis.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Buch-Tipp
Roddy Doyle, "Jazztime", aus dem Englischen übersetzt von Renate Orth-Guttmann, Hanser Verlag, ISBN 3446207147