Werbekampagne vs. Wissenschaft
Schwarzbuch Zigarette
Die Werbekampagnen der Tabakindustrie setzen vor allem auf Jugendliche. Aus einem einfachen Grund, meint Keyvan Davani in seinem Sachbuch: Die positiven psychologischen Effekte wiegen die negativen gesundheitlichen bei Jugendlichen allemal auf.
8. April 2017, 21:58
Rauchen stellt heute einer der größten Gefahren für die Gesellschaft dar, meint Renate Burger, gilt doch Tabakkonsum mittlerweile als die zweithäufigste Todesursache weltweit. So schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO, dass von den 1,4 Milliarden Rauchern jährlich 4,9 Millionen sterben. Alleine in der EU kostet das Rauchen täglich 3.400 Menschen das Leben. In Deutschland sterben mehr Menschen durch Zigarettenrauch als durch Alkohol, illegale Drogen, Verkehrsunfälle, Aids, Morde und Selbstmorde zusammen.
Raucherquote steigt
Die Gefahren des Rauchens sind inzwischen wissenschaftlich unumstritten, trotzdem greifen - global gesehen - immer mehr Menschen zur Zigarette. Abzulesen ist das an den imposanten Wachstumsdaten der Tabakindustrie. 1900 noch wurden weltweit 50 Milliarden Zigaretten geraucht, 1940 waren es bereits 1.000 Milliarden und im Jahre 2000 5.500 Milliarden. Zwar hat sich der Anteil der Raucher in den westlichen Industriestaaten in den letzten Jahren von 45 auf 30 Prozent verringert, aber weltweit wird von einem weiteren Anstieg der Raucherquote ausgegangen.
Warum das so ist? Warum trotz aller Warnungen, aller wissenschaftlicher Beweise, dass Nikotin das Leben nicht nur verkürzt, sondern auch die Qualität der verbleibenden Zeit erheblich mindert, sehr viele Menschen weiterhin rauchen, erklärt Renate Burger mit einem Wort: Selbstbetrug. Nikotin wird nicht als Droge wahrgenommen.
"Wir müssen sie jung süchtig machen"
Offiziell beteuert die Tabakindustrie stets, dass ihre Werbekampagnen kein Anreiz zum Rauchen sein sollen, sondern dass es einzig und alleine darum gehe, Raucher davon abzuhalten, sich einer anderen Marke zuzuwenden. Das stimme so nicht, meinen Burger und Davani, denn die Zahl derer, die im Laufe ihrer Raucherkarriere auf ein anderes Produkt umsteigen, ist verschwindend gering. In Deutschland wechseln gerade einmal zehn Prozent ihre Lieblingszigarette - und der Großteil davon wechselt innerhalb der gleichen Marke zu den so genannten Light-Produkten. Dass um dieser Minderheit wegen die Tabakkonzerne Unmengen für Werbung ausgeben, wollen Burger und Davani nicht glauben. Und Zitate aus den internen Unterlagen der Tabakindustrie scheinen den beiden Autoren Recht zu geben.
"Wir müssen sie jung süchtig machen und zwar fürs ganze Leben", heißt es da unter anderem. Und ein Mitarbeiter von J. Reynolds meinte auf die Frage, warum denn die Vorstandvorsitzenden selbst keine Zigaretten anrühren, lapidar: "Wir rauchen den Scheiß nicht, wir verkaufen ihn nur. Das Recht zu rauchen behalten wir den Jungen, den Armen, den Schwarzen und den Dummen vor."
Positive psychologische Effekte
Die erste Zigarette bleibt den Rauchern meist lebenslang in Erinnerung. In keiner guten, allerdings, denn unregelmäßiger Puls, Schweißausbrüche und Übelkeit sind die Nebenwirkungen der Droge Nikotin. Aber trotzdem wird weitergeraucht. Aus einem einfachen Grund, meint Keyvan Davani: Die positiven psychologischen Effekte wiegen die negativen gesundheitlichen bei Kindern und Jugendlichen allemal auf.
Jahrelang streiten nun schon die Tabakkonzerne vor Gericht darum, ob sie wussten, dass Nikotin süchtig macht und wenn ja, ab welchem Zeitpunkt sie das wussten. Keyvan Davani hält diese Diskussion für ein Scheingefecht. Für ihn steht fest, dass die Industrie schon seit langer Zeit über die Auswirkungen und das Suchtpotenzial von Zigaretten vollauf informiert war, aber alles unternahm, um dieses Wissen geheim zu halten.
Erhöhtes Krebsrisiko durch Passivrauchen
Studien zeigen, dass das Lungenkrebsrisiko durch Passivrauchen um 30 Prozent steigt. Vor allem Babys, Kinder und Jugendliche laufen erhöhte Gefahr, durch den Zigarettenrauch der anderen anfälliger für Mittelohrentzündung, Lungenentzündung, Atemwegserkrankungen und Asthma zu werden.
Und obwohl Tabakrauch als der mit Abstand gefährlichste Innenraumschadstoff gilt, steht es um den Schutz derer, die gezwungen sind, "den Dreck der anderen zu inhalieren" nicht gut, beklagt Keyvan Davani.
Ausgehend von den Vereinigten Staaten wurde den Rauchern in den letzten Jahren in immer mehr Ländern der Kampf angesagt. "Zero Tolerance" auch hier. Bis es bei uns so weit sein wird, dürfte noch einige Zeit vergehen, denn in Österreich meint man noch immer, den Rauchern gegenüber tolerant sein zu müssen.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Renate Burger, Keyvan Davani, "Schwarzbuch Zigarette. Rauchen gefährdet Ihr Bewusstsein", Ueberreuter Verlag, ISBN 3800072084
CD-Tipp
Ö1 Edition "Geist und Körper", "Rauchen - Der Qualm als Lust und Ärger", erhältlich ab Montag, 9. Oktober 2006, in allen Apotheken Österreichs.