Der Traum vom besseren Leben
Boat People
Die Bilder sind spätestens seit den 1970er Jahren bekannt: salzwasserverkrustete, von Strapazen gezeichnete Gestalten auf gerade noch schwimmenden Booten, und ihre resolut bis hilflos wirkenden Helfer. Beginnt nun das neue Leben?
8. April 2017, 21:58
Nach dem Vietnamkrieg sprach man zum ersten Mal von ihnen. Man nannte sie "Boat People", denn sie vermittelten das Gefühl, dass sich ein ganzes Volk aufmache, um dem Terror der neuen Machthaber zu entkommen. Fassungslos fragte man damals, wie verzweifelt diese Menschen sein mussten, wenn sie lieber in Kauf nahmen, vom Meer verschlungen zu werden, als weiterhin ein Leben in Angst zu verbringen. Wie viele sich auf den Weg machten, wie viele ertrunken sind, von Piraten erschlagen wurden oder verhungert sind, kann nur geschätzt werden. Eine vietnamesische Quelle (hanoi.not.free.fr) spricht von 796.310 Menschen, die zwischen 1975 und 1995 per Boot flüchteten.
Damals, 1979, wurde von Rupert Neudeck die Rettungsaktion "Deutsches Komitee. Ein Schiff für Vietnam" ins Leben gerufen - heute besser bekannt als Cap Anamur -, die mit dem zu einem Hospitalschiff umgebauten Stückgutfrachter namens "Cap Anamur" das Leben Tausender Vietnamesen rettete - oft genug im letzten Augenblick.
Flucht in die USA
Heute stehen vor allem die afrikanischen Bootflüchtlinge im Zentrum der Aufmerksamkeit - samt der Frage, wie man mit ihnen umgehen soll, falls sie doch "nur" der Armut entfliehen wollen.
Von uns weitgehend unbeachtet: die karibischen Boat People, die Menschen, die von Kuba oder Haiti in die USA fliehen. Ein konstanter Strom von Menschen, aber den wenigsten gelingt es, das Paradies zu erreichen, denn die Küstenwache ist sehr aufmerksam. Die meisten Flüchtlinge werden aufgegriffen und zurückgeschickt.
Thema in der Literatur
Das Elend der Verzweifelten ist mittlerweile auch Thema in der Literatur. Das ungewisse Schicksal eines achtjährigen Mädchens, das auf der Flucht im Boot ihre Mutter verloren hat, beleuchtet die haitianische Autorin Evelyn Trouillot.
Der marokkanische Autor Mahi Binebine lässt in seinem Buch "Kannibalen" Bootsflüchtlinge am Strand von Tanger lebendig werden. Und mit einer Piratenbande, die sich am Elend der Boat People im südchinesischen Meer bereichert hat und nun mit Verbindungen in höchste Kreise protzt, muss sich Lieutenant Elizalde von der Police of Manila im Roman "Manila Bay" von William Marshall herumschlagen.
Oper von Hans Werner Henze
Selbst in der Musik finden sich Boat People, freilich in ihrer Urversion, als Schiffbrüchige. Als die Fregatte "Medusa" am 2. Juli 1816 vor Westafrika auf ein Riff auflief, ließ der Kapitän aus den Resten des Schiffs für 147 Menschen ein Floß zusammenzimmern. Er selbst und seine Offiziere stiegen in die Rettungsboote, die das Floß abschleppen wollten. Doch nach kaum zwei Stunden wurden die Taue gekappt. 13 Tage trieb das Floß im Meer, 15 Menschen erlebten die Ankunft der Fregatte "Argus", und nur zehn konnten gerettet werden, darunter der Arzt Henry Savigny, der detailliert über das Geschehen berichtete. Seine Erinnerungen inspirierten Hans Werner Henze zu seiner Oper "Das Floß der Medusa".
Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 6. September 2007, 11:40 Uhr
Buch-Tipps
Evelyne Trouillot, "Hallo ... New York. Erzählungen aus Haiti", Lamuv Verlag, ISBN 388977558
Mahi Binebine, "Kannibalen", Unionsverlag, ISBN 3293203000
William Marshal, "Manila Bay", Unionsverlag, ISBN 3293201903
Link
hanoi.not.free.fr