Kampf der Zivilisationen

Hurra, wir kapitulieren

Henryk Broder erinnert mit seinem Buch daran, auf welchen Überzeugungen die westliche Zivilisation fußt .Und es ist ein nachdrückliches Plädoyer dafür, diese Werte nicht aus Selbstekel und falsch verstandener Weltoffenheit zu opfern.

Ein Pferd namens Mohammed

Für Henryk M. Broder war der Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen ein Fanal; ein weiterer Beweis dafür, dass Europa eine Form der Appeasement-Politik betreibt: den Islam nur nicht herausfordern. Der Karikaturenstreit sei deshalb so bemerkenswert, meint Broder, weil hier zum ersten Mal Moslems die Bestrafung von Nicht-Moslems verlangten, die außerhalb der moslemischen Rechtssprechung leben. Dafür könne es nur eine Erklärung geben, so der Publizist, nämlich, dass die Moslems Europa bereits als Teil des islamischen Reiches betrachten.

Für Broder war ein Ereignis in diesem Zusammenhang besonders auffallend: Die schweizerische Firma Nestlé hatte in arabischen Zeitungen großflächige Anzeigen geschaltet und versichert, sie würde keine Produkte aus Dänemark verwenden. "Nicht nur mir klang das im Ohr wie 'Deutsche wehrt euch, kauft nicht bei Juden'", so Broder.

Schwacher, dekadenter Westen

Broder geht es weniger darum, den Islam anzuklagen, ihn verwundert vielmehr, wie bereitwillig Europa - allen voran Deutschland - all das aufgibt, wofür es die letzten Jahrhunderte gekämpft hat: das Recht auf freie Meinungsäußerung, Religionsfreiheit, mit einem Wort die Errungenschaften der Aufklärung. Was wir heute erleben, meint Broder, sei kein Kampf der Kulturen, sondern ein Kampf der Zivilisationen.

Die islamischen Fundamentalisten halten den Westen für schwach, dekadent und nicht abwehrbereit. Und sie lägen damit vollkommen richtig, so Broder. Wem als Reaktion auf Geiselentführungen und Enthauptungen, auf Massaker und Ausbrüche kollektiver Hysterie nichts Besseres einfiele, als permanent von einem "friedlichen Dialog" zu träumen, wer in vorauseilendem Gehorsam fordere, christliche Kirchen in Europa in Moscheen umzuwidmen, und wer auf jeden Terroranschlag mit Selbstanklage reagiere, der sei wirklich schwach und dekadent.

Falsches Verständnis

Immer wieder erklären Journalisten, Experten und andere Akteure der Öffentlichkeit, dass sich die Terroristen nicht anders artikulieren könnten, dass einem jungen Menschen gar nichts anderes übrig bliebe, als Flugzeuge ins Word Trade Center zu lenken oder sich selbst - und Hunderte andere - in die Luft zu sprengen. Und so verschwendet die westliche Zivilisation mehr Zeit und Kraft darauf, den Gegner zu analysieren und zu pardonieren, als ihm entgegen zu treten.

Die islamische Kultur ist eine Kultur der Ehre und der Schande, erklärt Broder: "Wenn die Ehre verletzt ist, kann man auch die eigene Schwester umbringen, um die Ehre zu retten und die Schande wieder auszuwetzen. Was wir machen, ist aber noch schlimmer: Wir infantilisieren diese Kultur. In der Tat behandeln wir diese Leute, die wirklich schwerste Verbrechen begehen, wie eine Bande von Lausbuben, die an einem Hochhaus vorbeigehen und die Hand auf die Klingeltafel legen - was wir früher als 10-Jährige gemacht haben - und dann klingelt's in 20 Wohnungen auf einmal."

Verachtung der eigenen Kultur

Warum ist der Westen nur allzu gerne bereit, seine Werte und Errungenschaften aufzugeben? Das habe viel mit Selbstekel zu tun, meint Broder. So zeichnet sich das 20. Jahrhundert auch dadurch aus, dass die westlichen Intellektuellen ihre eigene Kultur zu hassen und zu verachten gelernt haben. Und spätestens seit Ende des Zweiten Weltkrieges gehört es zum common sense, die Fundamente unserer Zivilisation als Übel zu betrachten. Dazu komme, nach Meinung von Henryk Broder, dass die Intellektuellen die letzten 100 Jahre immer wieder für starke Führer geschwärmt hätten. Egal ob Mao oder Stalin, selbst der grausamste Irrsinn wurde noch mit schönen Worten verteidigt.

"Schwache Stubenhocker, also Menschen, die kaum imstande sind, zwei Nägel in die Wand zu hauen, haben eine große Zuneigung, eine Voraussympathie für Menschen, die ganz entschieden handeln, sich über alles hinwegsetzen und einfach Menschen der Tat sind", meint Broder.

"Es gibt das Böse"

Laut Broder zeige sich in der Debatte rund um die Gefahren des Islamismus sehr deutlich, dass unsere westliche Zivilisation zu einer "Gesellschaft der Therapeuten" geworden ist. Bei jedem Verbrechen werde zuerst einmal gefragt, warum denn dies erfolgt sei. Nie ist der Mörder selbst schuld, immer haben die Umstände Schuld. Hätte man nur vorher interveniert und therapiert, dann wäre alles gut geworden. Hinter diesem Ansatz stecke aber nichts anderes, als die Weigerung, die Existenz des Bösen anzuerkennen.

"Ich bin manchmal erschrocken, dass bei dieser Debatte selbst überzeugte Agnostiker oder Atheisten wie ich am Ende doch bei der Theologie und bei der Erkenntnis landen: Es gibt das Böse", fällt Broder auf. "Fällt ein Böses in den Abgrund der Geschichte wie zum Beispiel der Kommunismus, taucht woanders ein anderes Böses auf. Das ist für rationale Menschen, die an die Aufklärung glauben, für Linke, für Liberale sehr schwer zu verstehen. Es gibt das Böse und das Böse ist mit therapeutischen Maßnahmen nicht aus der Welt zu schaffen."

Gute Streitschrift

"Hurra, wir kapitulieren" ist eine Polemik. Scharf geschrieben, oftmals übertrieben formuliert. Und wie es sich für eine gute Streitschrift gehört, kommen die Argumente der Gegenseite zu kurz. Aber trotzdem ist Henryk Broders Buch ein wichtiger, ein guter Text. Er erinnert daran, auf welchen Überzeugungen die westliche Zivilisation fußt. Und er ist ein nachdrückliches Plädoyer dafür, diese Werte nicht aus Selbstekel und falsch verstandener Weltoffenheit zu opfern.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipps
Henryk M. Broder, "Hurra, wir kapitulieren", Wjs Verlag, ISBN 393798920X

Samuel Huntington, "Kampf der Kulturen", aus dem amerikanischen Englisch von Holger Fließbach, btb Verlag, ISBN 3442755069