Wie die Wirtschaft in den Wahlkampf kommt
Kapitalismus, Liberalismus, Sozialismus
Reichensteuer, Neoliberalismus und Nulldefizit heißen die Schlagworte des Wahlkampfs. Aber: Hat die Wirtschaftspolitik in einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft überhaupt noch den Spielraum für unterschiedliche gesellschaftspolitische Konzepte?
8. April 2017, 21:58
Der Philosoph Konrad Paul Liessmann bringt gleich zu Beginn Ordnung in die Debatte und stellt die Kernfrage an beide Parteien: Wie halten wir's mit dem Kapitalismus?
Sollen sich die Marktkräfte völlig frei entfalten können, wie das schon John Locke vorgeschwebt ist, wie es später von Adam Smith aufgenommen und dann von Friedrich von Hayek formuliert worden ist? Der Reichtum weniger nützt letzten Endes allen, so die These, weil Reichtum produktiv investiert. Liessmann stellt gleich die Frage, ob das auch für das neue Finanzkapital gelten kann, das vor allem sich selbst vermehrt.
Oder gilt es, den Kapitalismus zu überwinden? Die gesamte europäische Arbeiterbewegung stützt sich auf dieses Postulat, aber davon ist nicht mehr viel übrig geblieben.
Den Kapitalismus weder sich frei entwickeln lassen, noch den Kapitalismus überwinden, sondern den Kapitalismus zähmen, scheint derzeit politisch der Stein der Weisen zu sein. Und das bei allen Gruppierungen, bei der ÖVP, bei der SPÖ, bei den Grünen, bei der FPÖ und beim BZÖ, selbst beim Liberalen Forum.
Das heißt, es geht bei diesen Zielen nicht ums Grundsätzliche, sondern um Nuancen, aber die sind für das Leben der einzelnen Menschen immens wichtig: Ob das Wasser privatisiert wird, ob die Bildung privatisiert wird, ob die Krankenversorgung öffentlich oder privat organisiert ist.
In der Diskussion stellt sich heraus, dass ÖVP und SPÖ in grundsätzlichen ideologischen Fragen gar nicht mehr weit auseinander sind. Josef Cap, Klubobmann der SPÖ, sagt, dass einander Kapitalismus und sozialdemokratische Grundsätzen wie Solidarität, Chancengleichheit, sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit keinesfalls widersprechen. Ein Unternehmer, der schöne Gewinne mache und seine Leute gut bezahle, sei auch ein kluger Unternehmer, sagt Cap. Damit sorge er auch dafür, dass die Menschen die Produkte kaufen können, die er erzeuge. Kritik gibt es dennoch am Steuerkurs der Regierung: Wenn die Unternehmenssteuern gesenkt werden, die Arbeitnehmer aber nicht entlastet werden, sagt Cap.
Böhler-Uddeholm-Chef Claus Raidl, er ist im Personenkomitee zur Wiederwahl Wolfgang Schüssels, betont zwar, in der Frage der Privatisierung gebe es noch gravierende Gegensätze, aber Raidl sieht auch Grund zur Selbstkritik, und zwar in der Verteilungsfrage. Bei den Lohnverhandlungen werde um Zehntelprozent gestritten, während die Dividenden oft um 10 bis 50 Prozent in einem Jahr in die Höhe schnalzen. Das werde von der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert, die Marktwirtschaft müsse da in eigenem Interesse sich selbst korrigieren. Was Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen wollen: Gut ausgebildete Menschen, die - auf der einen Seite - wertvolle Mitarbeiter für den Betrieb sind, und die - auf der anderen Seite - gut verdienen und weniger von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Aber da - und Josef Cap nütz die Gelegenheit für einen Seitenhieb in Richtung ÖVP - spiele die Bildungspolitik von Ministerin Gehrer nicht mit.
Hör-Tipp
Saldo, Freitag, 22. September 2006, 9:45 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung "Saldo", vom Freitag, dem 22. September 2006, 9:45 Uhr zum Thema "Kapitalismus, Liberalismus, Sozialismus" nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Links
Böhler Uddeholm - Claus Raidl
Parlament - Josef Cap
Universität Wien - Konrad Paul Liessmann
ÖVP
SPÖ