Indien - Teil 2
Land der 1000 Sprachen
Seit Salman Rushdie 1981 mit seinem Roman "Mitternachtskinder" den internationalen Durchbruch schaffte, sind zahlreiche indische AutorInnen wie Amitav Ghosh, Vikram Seth oder Arundhati Roy weltweit bekannt geworden. Sie alle aber schreiben auf Englisch.
8. April 2017, 21:58
In einem Essay, den er seiner 1997 veröffentlichten Anthologie indischer Literatur voranstellte, erklärte Salman Rushdie, dass die in englischer Sprache verfasste indische Literatur alle Werke übertreffen würde, die in den indischen Regionalsprachen verfasst worden seien. Diese Behauptung löste einen Sturm der Empörung aus. Zum einen wäre Salman Rushdie gar nicht in der Lage, die in zwei Dutzend offiziellen und unzähligen weiteren Sprachen verfasste Literatur zu lesen, zum anderen irritierte Rushdies Selbstsicherheit, mit der er sich zum Richter über gute und schlechte Literatur aufschwang.
Das Ressentiment richtet sich nicht so sehr gegen die in englischer Sprache verfasste indische Literatur an sich, deren Qualität außer Zweifel steht, sondern gegen die starke Förderung dieser Literatur auf Kosten anderer indischer Literatur. Mit Werken in englischer Sprache zu arbeiten ist natürlich leichter. Sie sind von vornherein zugänglicher, und es bedarf keiner sprachlichen und kulturellen Vermittlung.
Universitätssprache Englisch
Die Dominanz der englischen Sprache in Indien und ihre Folgen beschäftigen heute viele AutorInnen und VerlegerInnen. Die Spitzenforschung in den Naturwissenschaften, in der Technik und in der Medizin, in den Sozial- und zunehmend auch in den Geisteswissenschaften wird auf Englisch getätigt. An den führenden Universitäten Indiens findet die Lehre auf Englisch statt.
"Im akademischen Leben - und nicht nur dort - nimmt Englisch somit einen Platz ein, den keine andere indische Sprache für sich beanspruchen kann. Und das schafft ein unausgeglichenes Verhältnis zwischen allen anderen Sprachen und Englisch", sagt Ritu Menon, Leiterin des Verlags Women Unlimited in Neu Delhi.
Literarische Stimmen in vielen Sprachen
Die Elite spricht und schreibt Englisch. Welches Bild von Indien aber vermittelt sie in ihren Werken? Susie Tharu, die an der Osmania-Universität in Hyderabad Anglistik lehrt, nennt Arundhati Roys Roman "Der Gott der kleinen Dinge" als Beispiel. In dem Werk "gibt es diese unglaublich romantisierte und idealisierte Figur des Unberührbaren. Der mag Arundhati Roys Fantasie widerspiegeln, aber er repräsentiert nicht das Leben, die Leiden und Wünsche eines echten Unberührbaren in diesem Land."
Autoren und Autorinnen aus den alten und neuen Eliten, der Dalits - wie sich die Unberührbaren heute nennen -, der Adivasis (Stammesangehörigen) und anderer Randgruppen präsentieren heute eine Vielfalt der literarischen Stimmen in einer großen Zahl von indischen Sprachen. Keiner kann das überschauen, aber würdigen sollte man es, sagt Geetha Dharmarajan vom Non-Profit-Verlag Katha in Neu Delhi.
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Hör-Tipps
Radiokolleg, Montag, 18. September 2006, bis Donnerstag, 21. September 2006, 9:05 Uhr
Tonspuren, Freitag, 22. September 2006, 22:15 Uhr
Radiokolleg, Montag, 2. Oktober 2006, bis Donnerstag, 5. Oktober 2006, 9:45 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendereihe "Radiokolleg" (mit Ausnahme der "Musikviertelstunde") gesammelt jeweils am Donnerstag nach der Ausstrahlung, die Sendung "Tonspuren" nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Buch-Tipps
Bama & Lakshmi Holmström, "Karukku", Macmillan India Limited,
Arjun Dangle (Hg.), "Poisoned Bread, Translations from Modern Marathi Dalit Literature", Orient Longman, Bombay 1992
Arjun Dangle (Hg.), "A Corpse in the Well. Translations from Modern Marathi Dalit Autobiographies", Orient Longman, Bombay 1992
"Frauen in Indien. Erzählungen" (Originaltitel: The Inner Line; 2006), Erzählungen von Anita Agnihotri, Temsula Ao, Anjana Apachana, Prya Sarukkai Chabria, Shashi Deshpande, Mridula Garg, Indira Goswami, Githa Hariharan, C.S. Lakshmi, Nayantara Sagal, Bulbul Sharma und Vandana Singh, herausgegeben von Urvashi Butalia, aus dem Englischen übersetzt von Bettina Bach, Uschi Gnade und Barbara Ostrop, dtv, ISBN 9783423135085
Michi Strausfeld (hg.), "Die Schlaflosigkeit Delhis und andere Wirklichkeiten. Wortreisen durch einen Kontinent. Moderne indische Literatur", verschiedene Übersetzerinnen und Übersetzer aus dem Englischen und indischen Regionalsprachen, die horen, Band 223, Bremerhaven, ISBN 3865094872
Omprakash Valmiki, "Joothan. A Dalit's Life", Kolkata: Samya