Nationalsozialismus und Architektur - Teil 3
Das "Führerzimmer" im Volkstheater
Die Demontage des "Führerzimmers" war einer der Aufreger der ersten Saison Michael Schottenbergs als Volkstheaterdirektor. Das Denkmalamt setzte den Rückbau durch und veranstaltet im Gegenzug jetzt ein Symposion. Das Volkstheater hat einen neuen Spielort.
8. April 2017, 21:58
Das so genannte "Führerzimmer" im Volkstheater wird nun zum Spielraum unfunktioniert. Die nunmehr "Empfangsraum" genannte neue Spielstätte widmet sich ab 5. Oktober 2006 mit Aufführungen, Lesungen, Diskussionen oder Ausstellungen der Aufarbeitung der österreichischen Zeitgeschichte.
Mit der Abtragung der Holzvertäfelung des "Führerzimmers", die er als Bühnenbild für Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand" einsetzte, hat Schottenberg in seinem ersten Direktionsjahr viel Staub aufgewirbelt. Das Bundesdenkmalamt verpflichtete ihn zum Rückbau auf eigene Kosten.
Bittere Realsatire
Mit den bitteren Worten "Das ist Österreich" kommentierte Schottenberg in einer Aussendung damals die Vorgangsweise des Bundesdenkmalamts: Er habe die Holzvertäfelung des "Führerzimmers" "aus Gründen der Moral, der Ethik und des politischen Bewusstseins abbauen lassen". Die Entscheidung der Behörde "nehme ich zur Kenntnis und muss ihr Folge leisten." Seine Haltung hat ihm immerhin den neu gestifteten "Herzmanovsky-Preis" des Verbands der Auslandspresse in Wien eingetragen - "für couragiertes Handeln in der Realsatire 'Führerzimmer'".
Archiv für verdrängte Geschichte
Bei der Präsentation des Spielplans für diesen neuen Spielort meinte Schottenberg: "Wir haben versucht, den vermeintlichen Nachteil zum Vorteil umzumünzen und haben einen kleinen Veranstaltungsraum dazu gewonnen." Er verstehe diesen Empfangsraum als eine Art Archiv, in dem Geschichten verhandelt werden, denen sonst kein Raum gegeben werde, "der sich jener annimmt, die auf Grund ihrer Gesinnung, ihres Glaubens, ihres Andersseins verfolgt und ermordet wurden."
Eröffnet wird die neue Spielstätte am 5. Oktober um 17:30 Uhr mit einer Führung von Architekturtheoretiker Jan Tabor durch die vom f.e.a/Forum für experimentelle Architektur gestaltete Erinnerungs-Schau "Das Führerzimmer. Ein Wiener Denkmal", die jeweils vor den Vorstellungen zu besichtigen sein wird. Als Eröffnungspremiere steht anschließend Ulrich Hubs "Fräulein Braun" in der Regie von Katrin Hiller mit Ivanka Brekalo und Raphael von Bargen auf dem Programm.
Der weitere Spielplan
Am 10. und 12. Oktober liest Frederic Morton aus seiner Autobiografie "Durch die Welt nach Hause", für die zweite Spiezeithälfte kündigte Dramaturgin Susanne Abbrederis die geplante Uraufführung seines Stückes "Commandant" an. Im November ist eine inszenierte "Gedenk-Tafel"-Installation" der Künstlerin Hilde Fuchs für nicht gewürdigte Widerstandskämpfer zu sehen. Im Dezember führt Christoph F. Krutzler Peter Wagners "Zigeunermonolog" "Adi Gusch!" auf. Im Frühjahr wird Herbert Achternbuschs Hitler-Stück "Der Weltmeister" in der Regie von Marin Oelberbaum uraufgeführt. In Planung ist weiters eine Lesung aus den Tagebüchern von Victor Klemperer, sowie Projekte mit den Verlagen Czernin, Zsolnay und Deuticke und der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung.
Anlass für breite Diskussion
Die Schirmherrschaft über den Empfangsraum, der über die Präsidentenstiege neben der Portierloge zu betreten ist, hat die Autorin Inge Deutschkron übernommen, die u.a. im März auch mit einer Lesung "Emigranto" zu Gast ist. Der Raum fasst nur an die 25 Besucher, bei größerer Nachfrage soll die Zahl der Vorstellungen erhöht werden. Der Betrieb verursache keine zusätzlichen Kosten, sagte Schottenberg, man investiere das Produktionsbudget des reduzierten Spielbetriebs im Hundsturm. Architektonisch sei der "Empfangsraum" im Grunde nicht interessant, meinte Jan Tabor, er sei aber die "Initialzündung" zu einer breiten Diskussion über den Umgang mit NS-Architektur gewesen.
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