Zusammenklingen der Kulturen
Avant Anadolu Rock
Murat Ertel ist einer der charismatischsten Persönlichkeiten aus der pulsierenden Musikszene Istanbuls. Ertel war Frontman der Konzeptband ZEN und ist nun Frontman von Baba Zula. Diese Bands haben das Erbe des Anadolu Rock angetreten.
8. April 2017, 21:58
Baba Zula: "foal" aus dem Album "duble oryantal"
Murat Ertel war Frontman der Konzeptband ZEN und ist nun Frontman von Baba Zula. Das sind jene beiden Bands, die üblicherweise zu allererst genannt werden, fragt man die Leute in Istanbul nach experimenteller Musik aus dem Pop- und Clubkontext, nach dem Erbe des Anadolu Rock.
Ertel ist einer der charismatischsten Persönlichkeiten aus der pulsierenden Musikszene Istanbuls.
Sohn einer Künstlerfamilie
Seine musikalische Laufbahn hätte er bereits als Baby begonnen, schon damals, so erzählte ihm später seine Mutter, sei er zu Bauchtanzmusik vergnügt hin- und hergewackelt. Murat Ertel stammt aus einer Künstlerfamilie, bei der oft andere Künstlerinnen und Künstler zu Besuch waren.
An zwei Musiker hat Ertel eine besonders lebendige Erinnerung, die ihn auch nachhaltig prägen sollte: "Der eine war Asik Ihsni, ein kurdischer Sänger mit sehr langen Haaren und einem sehr langen Bart. Er hat Saz gespielt und in einer Sprache gesungen, die ich nicht verstanden habe, das hat mich sehr beeindruckt. Der andere war Ruhi Su, so weit ich mich erinnern kann, hat mein Vater alle Plattencover für ihn gestaltet. Bevor ein neues Album veröffentlicht wurde, ist Ruhi Su immer zu uns nach Hause gekommen, hat das gesamte Album meinem Vater vorgespielt und der hat es dann mit Tonbandmaschine aufgenommen."
Zurück zu den Wurzeln
Nach dem Schulabschluss brach Ertel zu einer musikalischen Spurensuche in die USA auf, um dort zu entdecken, dass der Blues, den er mittlerweile spielte, einfach nicht an jenen der Afroamerikaner heranreichte, woraufhin sich Ertel wieder vermehrt der türkischen Musik zuwandte und aufbauend auf dem Erbe des Anadolu-Rock die Konzeptband ZEN gründete.
ZEN verfolgten von Anfang an einen starken intermedialen Ansatz. Sie verwendeten bis zu sieben 8mm-Filmprojektoren, über die sie dann eine meterlange Filmschleife im Loop laufen ließen. Manchmal zeigten sie auch mehrere Film-Loops gleichzeitig. ZEN wollten Musik machen, die so unüberschaubar sein sollte, wie das Leben selbst: "Manchmal, am Ende eines Konzertes, kamen Leute und fragten, wie der Film ausging, den wir auf der linken Seite gezeigt haben, weil sie sich auf den auf der rechten Seite konzentriert hatten, der noch dazu zu gar keinem Ende kam."
Von ZEN zu Baba Zula
Der zentrale Unterschied zwischen ZEN, die sich mittlerweile aufgelöst haben, und Baba Zula ist der, dass sich letztere Band noch intensiver mit der musikalischen Geschichte der Türkei auseinandersetzt.
Als Stadtkinder hätten sie zwar nicht diesen einen ganz speziellen Rhythmus und diese eine ganz spezielle Melodie im Blut, so Murat Ertel, wie sie eben nur von den Bewohnerinnen und Bewohnern der Dörfer in Anatolien weitergeben werden kann, die dereinst mit ihrer schamanistischen Religion und asiatischen Musiktradition aus Zentralasien eingewandert waren. "Aber dafür sind wir hier in Istanbul von vielen verschiedenen Rhythmen und Melodien umgeben. Aus allen Teilen der Welt kommen die Menschen nach Istanbul, sie vertreten die verschiedensten Religionen. Armenier, Juden, Griechen, Kurden, Engländer, sie alle leben in Istanbul friedlich zusammen." Istanbul sei ein kultureller Knotenpunkt.
Kultureller Brückenschlag
Mit ihrer Musik versuchen Baba Zula einen Brückenschlag zwischen Tradition und Moderne, zwischen Ost und West. Und sie wollen zeigen, welch Reichtum die traditionelle türkische Musik zu bieten hat.
Denn viel westliche Musik die er heute hört, so Murat Ertel, scheint in ihrer Entwicklung stecken geblieben zu sein: "In der türkischen Musik haben wir einige Töne, die in der westlichen Tonleiter nicht vorkommen. Wir haben fünf weitere Töne und auch unsere alten Rhythmen sind vielfältig und raffiniert. Die Menschen könnten lernen, zu diesen Rhythmen zu tanzen, das wäre sehr wichtig. Das würde ganz neue Dimensionen eröffnen, denn plötzlich würden sich die Menschen anders bewegen. Es gibt so viele Möglichkeiten, die das Leben ungemein bereichern würden."
Hör-Tipp
Zeit-Ton, Donnerstag, 14. September 2006, 23:05 Uhr
CD-Tipp
Baba Zula, "duble oryantal", gemixt und produziert von Mad Professor, mit Sly Dunbar, Robbie Shakespeare, Alexander Hacke u.a., DM 0027
Links
Wikipedia - Anadolu Rock
Baba Zula
Doublemoon Records