Die Verkörperung des Tangos
Mythos Carlos Gardel
Der Tango gehört zu Buenos Aires wie der Walzer zu Wien. Und Carlos Gardel ist sein unbestrittener König. Sein berückendes Lächeln, seine schmachtende Stimme und die waidwunden Texte seiner Songs brachen Frauenherzen allüberall.
8. April 2017, 21:58
Carlos Gardel: "El Dia che me quieres"
Es ist unbestritten, dass Carlos Gardel und seine Art, Tango zu singen, zum weltweiten Erfolg dieser Musik geführt hat. Unbestritten ist ebenso, dass die jungen Medien Radio und Kino zur "Veredelung" der zu einem Tanz gefrorenen Messerstecherei, dem getanzten Ritual der Männlichkeit, des Machismo, beitrugen und den aus den Einwandererslums und den Bordellen stammenden Tango zu einem Gesangsstück machten, einem Schmachtfetzen, der sich um enttäuschte Liebe, das verpfuschte Leben und verräterischen Frauen dreht.
Carlos Gardel war eigentlich nur einer unter vielen Tangosängern. Warum wurde gerade er zum Mythos?
Das "gewisse Etwas"
Nun: Er galt als schöner Mann. Er hatte das "gewisse Etwas", in der Stimme wie im Lächeln. Er starb eines gewaltsamen Todes: Das Flugzeug, mit dem er von Medellin nach Cali zu einer Rundfunkaufnahme fliegen wollte, kam beim Start von der Piste ab und ging in Flammen auf. Seine sterblichen Überreste konnten nicht mit Sicherheit identifiziert werden. Das gab der auch damals schon agierenden Medienmaschinerie Stoff: Erst nach seinem Tod begann die Hysterie um "Carlitos", und erst nach seinem Tod wurden seine Tangos zu Verkaufsschlagern.
Doch nicht nur um seinen Tod, auch um seine Geburt, überhaupt, um sein ganzes Leben ranken sich Geheimnisse. War er nun der uneheliche Sohn der Berthe Gardes, wurde er in Toulouse in Frankreich geboren, kam er erst mit sechs Jahren nach Buenos Aires? Oder war er einer der vielen unehelichen Söhne eines uruguayanischen Großgrundbesitzers, der mit einer unliebsam gewordenen Liebesdienerin abgeschoben wurde und in Buenos Aires am Rand einer kriminellen Karriere balancierte?
Tango-Duell
Die offizielle Biographie gibt wenig Gesichertes her: 1912 soll er ein "Tango-Duell" mit seinem späteren Gesangspartner Carlos Razzano ausgetragen haben. Sieger ist keiner vermerkt, oder anders gesagt: Die darauf folgende Zusammenarbeit machte sie als Duo berühmt.
Am 11. Dezember 1915 wird Gardel in einem Club niedergeschossen. Ob die Kugel ihm galt, ist nicht überliefert. Angeblich war der Schütze der Vater von Ernesto Che Guevara. Nach der Genesung singt er wieder, trennt sich von Razzano und wird mit dem 1917 aufgenommenen Tango "Mi Noche Triste" berühmt. Im selben Jahr tritt er zum ersten Mal für den Stummfilm "Flor de Durazno" vor die Kamera.
Stöbern im Mythos
Die Europareise in den späten zwanziger Jahren trägt ihn von einem Erfolg zum anderen. Nach Spanien liegt ihm 1928 auch Paris zu Füßen. Paramount holt ihn nach Hollywood.
Dazwischen klaffen große Lücken in der Biographie. Grund genug für Horazio Vázquez-Rial, den argentinischen Schriftsteller mit Hang zum Tango, ein bisschen im Mythos Gardel zu stöbern.
Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 14. September 2006, 11:40 Uhr
Buch-Tipps
Horacio Vázquez-Rial, "Der Mann, der sich Carlos Gardel nannte", aus dem argentinischen Spanisch von Petra Zickmann und Stine Lehmann, Piper-Verlag, ISBN 3492047408
Horacio Vázquez-Rial, "Tango, der dein Herz verbrennt", aus dem argentinischen Spanisch von Petra Zickmann und Manuel Pérez Espejo, Piper-Verlag, ISBN 3492047033
Links
totango - Carlos Gardel
totango - gesammelte Artikel zu Gardel
The Story of Carlos Gardel
Tacuarembó - über Gardels Herkunft (span.)