Ein Buch im Buch

Das Wetter vor 15 Jahren

Kommissar Brenner ist Geschichte. In seinem neuen Roman erzählt Wolf Haas eine Liebesgeschichte und nimmt sich dabei an René Magritte ein Beispiel: Dies ist kein Buch, sondern das Buch ist ein Buch über das Buch.

Nach seinen erfolgreichen Brenner-Krimis wirft sich Wolf Haas nun in den Kampf der Geschlechter: In seinem ersten Liebesroman berichtet er von einer absurden, aber auch sehnsuchtsvollen deutsch-österreichischen "Amour fou" zwischen einem Vittorio Kowalski aus dem Ruhrpott und einer Tiroler Wirtstochter namens Anni Bonati. Doch es wäre nicht der zu Späßen aller Art immer aufgelegte Wolf Haas, gäbe er sich damit zufrieden.

Fiktives Gespräch über fiktiven Roman

Haas erzählt seine Geschichte nicht einfach, sondern lässt eine Literaturredakteurin mit dem Autor ein fiktives Gespräch über den - fiktiv vorausgesetzten - Romantext führen. Die Story selbst formt sich dabei nebenher, angereichert mit allerlei Sonstigem über Motive und Beweggründe des Autors, das Schreiben, den Literaturbetrieb, und Gott und die Welt im Allgemeinen.

Wolf Haas: Diese Tankstelle mitten im Wald, die gibt’s wirklich. Da ist mir dieser betörende Geruch aufgefallen, dieses Mischung aus Wald und Tankstellendämpfen. Und das andere hab ich bei Faulkner geklaut.
Literaturbeilage: Was haben Sie bei Faulkner geklaut? Hab ich da was übersehen?
Wolf Haas: Wo es immer heißt: "Caddy roch nach Bäumen." Das hat mir immer wahnsinnig gefallen. Deshalb riecht Anni nach Wald. Aber von mir kommt eben der Benzingeruch dazu, die Tankstelle.

Dem "Musterschülerdasein" entkommen

Literatur habe einen gewissen unerschütterlichen Wert, das mache aus jedem Schriftsteller eine Art Musterschüler, meinte Wolf Haas einmal in einem tatsächlich gegebenen Interview. Und er wolle diesem "Musterschülerdasein" immer trickreich entkommen.

Nach den amüsanten verbalen Entgleisungen seines Privatdetektivs Brenner, verweigert sich Haas erneut dem hehren Dichterton und wendet in dem 224 Seiten langen Zwiegespräch zwischen seiner durchaus kritischen Literatur-Redakteurin und dem "fiktiven" Schriftsteller Wolf Haas einen neuen Trick an.

Literaturbeilage: Fand ich übrigens etwas gewagt, dass Sie Annis zarte Haut an der Stelle so betonen.
Wolf Haas: "Zarte Haut" hab ich aber nicht geschrieben. Sondern "dünne Haut".
Literaturbeilage: Ja richtig. "Ihre Haut war so dünn, dass der Insektenstachel ohne jede Anstrengung eindringen und ihr Blut..."
Wolf Haas: Einmal wird mir vorgeworfen, dass Anni zu wenig vorkommt, dass sie nicht zu Wort kommt, und dann ist es wieder zu viel.

Der Wettermann als Wettkönig

Die sich langsam, manchmal auch in gewagten Sprüngen heraus kristallisierende Story klingt ungefähr so: Bis zu seinem 15. Lebensjahr macht Vittorio Kowalski mit seinen Eltern im immer gleichen Tiroler Bergdorf Urlaub, in der Pension Bonati. In die gleichaltrige Tochter des Hauses, Anna, ist der junge Vittorio verliebt, so lange er denken kann. Doch nach dem Unfalltod des Vaters Bonati, an dem die beiden Kinder nicht unschuldig sind, stellt die Familie Kowalski ihre Urlaubsreisen ein. Anna und Vittorio sehen einander nicht mehr.

Für die nächsten 15 Jahre lernt Vittorio Kowalski von jedem einzelnen Tag die exakten Wetterdaten im Bergdorf seiner Anna auswendig. Das macht den Wettergott von eigenen Gnaden zuletzt zum Wettkönig bei Thomas Gottschalk. Und siehe da: Zwei Wochen nach dem "Wetten dass"-Auftritt trudelt eine Ansichtskarte bei Vittorio ein. Einige absurde Verwicklungen später endet die romantisch-groteske Liebesgeschichte, wie sie soll: Ende gut, alles gut.

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

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Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 8. September 2006, 16:30 Uhr

Ex libris, Sonntag, 10. September 2006, 18:15 Uhr

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Download-Tipp
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Buch-Tipp
Wolf Haas, "Das Wetter vor 15 Jahren", Hoffmann und Campe Verlag, ISBN 3455400043