Bis zuletzt Scharfsinnig und Schlagfertig

In memoriam Astrid Varnay

Astrid Varnay war ein Weltstar, der die große Diva aber nie hervorgekehrt hat. Die in Stockholm geborene Sängerin war eine der bedeutendsten Tragödinnen der Opernbühne im 20. Jahrhundert. Varnay ist am Montag 88-jährig in München verstorben.

Astrid Varnay über ihre musikalische Herkunft

Der berührendste Nachruf für die im Dezember des Vorjahres verstorbene Birgit Nilsson stammte ausgerechnet von ihrer rund drei Wochen älteren Fachkollegin und Landsmännin Astrid Varnay. Sie wäre so traurig, meinte sie zu mir am Telefon, darum hätte sie diesen Nachruf verfasst und ob ich ihn wohl in einer Sendung verlesen würde? Was für eine Frage, selbstverständlich habe ich das mit großer Freude getan und verschiedene Printmedien haben ihn dann ebenfalls veröffentlicht. Das war eine ganz typische Reaktion von Varnay, die zwar ein wirklicher Weltstar gewesen ist, die große Diva aber nie hervorgekehrt hat.

Zweifellos gehörte die Varnay zu den bedeutendsten Tragödinnen der Opernbühne im 20. Jahrhundert und war in ihrem Fach der Callas zumindest ebenbürtig. Dass sie heute dennoch nicht deren "Marktwert" besitzt, liegt aber wohl hauptsächlich daran, dass das Leben von Varnay abseits von Bühne und Konzertsaal weit weniger spektakulär verlaufen ist. Dennoch lohnt es sich allemal, ihre vor wenigen Jahren erschienen Memoiren ("Hab mir's gelobt- 55 Jahre in fünf Akten") zu lesen, bieten sie doch ein spannendes Stück Musik- und Operngeschichte, beginnend in der Zeit des 1. Weltkrieges bis hinein in unsere Tage.

Theaterleben von Beginn an vertraut

Geboren wurde Astrid Varnay - mehr oder weniger zufällig - in Stockholm, wo ihre Eltern, zwei ungarische Opernsänger, damals gerade engagiert gewesen sind: am 25. April 1918. Aufgewachsen aber ist sie in Amerika, wo ihre Mutter, nach dem frühen Tod von Alexander Varnay abermals einen Tenor geheiratet hat, diesmal einen Italiener. Das Theaterleben war ihr also von Anbeginn sehr vertraut und es war bald klar, dass auch sie in diesem Metier ihr Glück versuchen würde.

Ausgebildet wurde sie zunächst durch ihre Mutter, die wichtigste Person für ihre Karriere aber wurde bald ein Emigrant aus Deutschland: Hermann Weigert - Kapellmeister, Sängererzieher, Chefkorrepetitor der MET und schließlich Ehemann von Astrid Varnay, trotz eines ziemlich großen Altersunterschiedes. Er hat sie intensiv auf diesen schwierigen Beruf vorbereitet, ja sie so sattelfest gemacht, dass selbst die MET ihr die unglaublichsten Husarenstücke zugetraut hat. So debütierte sie also 23-jährig und nahezu ohne jegliche Bühnenerfahrung am 6. Dezember 1941 als Sieglinde in der "Walküre" an der Metropolitan Opera (als Einspringern für die legendäre Lotte Lehmann) und das noch dazu bei einer der traditionellen Samstag-Matineen, die live im Rundfunk übertragen wurde.

Die größten Wagner-Sänger dieser Zeit waren dabei ihre Partner (Traubel, Thorborg, Melchior, Schorr und Kipnis), die Sensation aber wurde noch größer, als sie schließlich nur sechs Tage später erneut einsprang, diesmal aber als Brünnhilde.

Stammsängerin in Bayreuth

Abgekühlt ist ihr Verhältnis zur MET erst durch Rudolf Bing, aber da war sie dann schon ein Star in Europa, wo sie bald zum Stammensemble der 1951 wiedereröffneten Festspiele von Bayreuth gehörte. Nichtsdestoweniger aber hätte sie gerne auch mehr italienisches Fach gesungen, doch das Wagner- und Richard-Strauss-Repertoire nahm sie bald so in Beschlag, dass dafür nur mehr wenig Zeit geblieben ist, ebenso wie für den Liedgesang, der ihr ebenfalls am Herzen gelegen wäre.

Im letzten Teil ihrer Karriere hat Astrid Varnay dann auch noch im Charakterfach Furore gemacht und hier selbst in kleinsten Partien oft den eigentlichen Stars des Abends - ungewollt - die Show gestohlen, allerdings immer mit rein künstlerischen Mitteln und ohne billige Effekthascherei. Dazu war sie auch noch pädagogisch tätig und sie hätte auf diesen Gebieten eigentlich bis zuletzt wirken können, wären in den letzten Jahren nicht zunehmend Gehbeschwerden aufgetreten. Geistig aber war sie bis zu ihrem überraschenden Tod von geradezu überwältigender Frische und Schlagfertigkeit, hochinteressiert am Geschehen unserer Zeit, stets prägnant in ihrer Meinung, dabei aber immer eher scharfsinnig, als scharfzüngig.

"Sie fehlt mir unendlich" war der Schlusssatz ihres eingangs zitierten Nachrufes für Birgit Nilsson... Acht Monate später fehlen sie uns beide!

Mehr zum Tod Astrid Varnays in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Österreich 1 ändert in memoriam Astrid Varnay sein Programm:
Apropos Oper, Dienstag, 5. September 2006, 15:06 Uhr

Buch-Tipp
Astrid Varnay, "Hab mir's gelobt - 55 Jahre in 5 Akten", Henschel, ISBN 3894872675

Links
Wikipedia - Astrid Varnay
Bayreuther Festspiele
Royal Opera
The Metropolitan Opera
Teatro alla Scala
Bayerische Staatsoper
Wiener Staatsoper