Können Kulturen miteinander kämpfen?

Rabinovici zweifelt am "Dialog der Kulturen"

Der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici kritisiert, dass beim "Dialog der Kulturen" die Probleme, die den Konflikten zu Grunde liegen, nicht angesprochen werden. Im Interview spricht er über Werte, Umbrüche und das Scheitern der Moderne.

Über Werte und Interessen

"Werte - aber welche?" ist das Thema der diesjährigen Sommerschule der Waldviertelakademie in Weitra, die noch bis 3. September 2006 dauert. Einer der Vortragenden wird der Schriftsteller Doron Rabinovici sein, der fragt, ob es einen "Dialog" zwischen "Kulturen" überhaupt geben kann.

Im Interview mit Rainer Rosenberg sprach er über Möglichkeiten der Auseinandersetzungen zwischen Partnern, denen gegenseitiger Respekt fehlt.

Rainer Rosenberg: Sie haben einmal den Satz geschrieben: "Wer dem Kampf der Kulturen entgehen will, predigt gerne den Dialog." Das klingt so feig. Als könne man dem Kampf der Kulturen erhobenen Hauptes nicht entgehen...
Doron Rabinovici: Man kann ihm sehr wohl auch entgehen, wenn man bereit ist, über die politischen Inhalte zu sprechen. Das, was ich interessant finde bei dem Schlagwort "Dialog der Kulturen", ist, dass das so tut, als könnten Kulturen miteinander in Dialog treten und als könnten Kulturen miteinander kämpfen, das ist dann das Wort "Kampf der Kulturen" ("Clash of Civilizations", Anm.).

"Clash" heißt aber eigentlich "Aufeinanderprallen". Das ist eine schlechte Übersetzung ...
Und dennoch, es gibt so viele Unterschiede, etwa zwischen einem christlichen Staat wie Nigeria und Schweden. Darunter liegen ja politische Auseinandersetzungen. Beim "Dialog der Kulturen" frag' ich mich, ob nicht sehr oft der Dissens ausgeschaltet wird, um eine Harmonie herbeizurufen. Sehr oft auch ist das Thema des Dialogs der Dialog. Man spricht dann nicht über einen rassistischen Wahlkampf, wie in Wien vor einem Jahr, sondern man redet miteinander, dass man miteinander zusammenkommt, hält Händchen. Man redet nicht über den EU-Beitritt, man redet nicht über den Islamismus, man redet nicht in Respekt miteinander und nicht in Offenheit. Das ist die Gefahr. Das wird in einem wohl klimatisierten Raum zwischen Würdenträgern und Repräsentanten abgehalten. Aber erreicht das eigentlich die Probleme und jene Fragen, die den Konflikten zu Grunde liegen?

Denken Sie da an kirchliche Würdenträger?
Ja. Es ist meistens so, dass, wenn vom "Dialog der Kulturen" gesprochen wird, dann sind es religiöse Würdenträger. Das bedeutet, dass Kultur mit Religion gleichgesetzt wird. Das alles heißt, dass wir von einem gleichen Setting ausgehen.

Die Vertreter der Aufklärung sind da tendenziell keine Dialogparteien...
Wenn das so durchgeführt wird, nicht.

... es sei denn, die Aufklärung hat sich in die Religionen schon eingenistet.
Naja, das können wir leider nicht sagen, dass das so passiert sei. Dieses Bild von Kultur ist ja auch ein abgeschlossenes. Das heißt es gibt eine Kultur, die wird von einer Person repräsentiert.

Aber das weiß doch jeder, dass das Blödsinn ist.
Genau. Das müsste man eigentlich wissen. Das andere ist, dass man zu politischen Fragen nicht vorstößt. Natürlich gibt es einen Dialog der Kulturen, der sehr viel bewirkt hat. Zum Beispiel die Absage des Vatikans an Antijudaismus. Aber das war Ergebnis einer politischen Entscheidung. Der Zweite Weltkrieg ging für die antisemitische Seite verloren. Angesichts von Auschwitz entwickelte sich dieser Dialog. Ganz etwas anderes bedeutet ein Dialog etwa in Israel. In Israel bedeutet so ein Dialog: gegen die Gewalt ansprechen. Und da gibt es wirklich auch Friedensgruppen, die auch etwas bewirken, nämlich ein Klima schaffen. All das ersetzt nicht eine politische Lösung, die heißen müsste: Ein Ende der Besatzung, ein Ende des Terrorismus, Zwei-Staaten-Lösung. Also wirkliche Verhandlungen. Und dass man über all das spricht, was sehr oft im sakralen Raum nicht angesprochen wird.

Der Bürgerkrieg im Irak, der Krieg zwischen Israel und dem Libanon oder der Hisbollah - wenn man das vergleicht, ist das ein Aufeinanderprallen von Kulturen?
Nein, ich glaube dass dahinter politische Auseinandersetzungen liegen. Je nachdem, wovon man spricht, muss man differenzieren. Allein schon was in Gaza passiert in diesen Sommer und was im Libanon sich abspielte, ist nicht miteinander zu vergleichen. Israel ist im Libanon keine Besatzungsmacht. Und in Israel-Palästina geht es ja um einen Konflikt um ein Land. Da geht es um zwei Diaspora-Völker. Da geht es um die Existenz des Staates Israel einerseits und um die Situation, in der die Palästinenser leben. Im Libanon hat das auch mit einer politischen Bewegung zu tun, nämlich dem Islamismus, der nicht einen Frieden mit Israel, nicht das Ende der Besatzungspolitik will, sondern diese Bewegung möchte das Ende Israels. Also einen Frieden ohne Israel.

Die israelische Friedensbewegung hat im Fall Libanon auch anders reagiert. Jene Leute, die für ein Ende der Siedlungspolitik eintreten, reagierten anders im Hinblick auch darauf, dass sich Israel ja vor sechs Jahren aus dem Libanon zurückzog - auch wegen der Argumentation der Friedenskräfte, die sagten: Dort hat Israel nicht zu sein. Und auf die Frage von Rechts: "Was machen wir, wenn man dann angreift", hieß es dann von Seiten dieser Friedenskräfte - etwa Merez oder Peace Now - dann haben wir das Recht, dann haben wir die Pflicht, zurück zu schlagen. Wie das dann passiert ist, darüber wird in Israel vielfältig diskutiert.

Service

Doron Rabinovici, "Ohnehin", Suhrkamp Verlag, ISBN 3518416049

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