Aufbruchstimmung im Land der Nomaden
800 Jahre Mongolei
Die Mongolei begeht in diesem Sommer ihren 800. Jahrestag der Staatsgründung durch den legendären Eroberer Dschingis Khan. Das ehemalige Weltreich feiert sich aber auch selber, denn inzwischen herrscht Aufbruchstimmung im Land der Nomaden.
8. April 2017, 21:58
"Vom Schmuggel zur Marktwirtschaft"
In der Mongolei legte der Steppenkrieger Temudschin alias Dschingis Khan dereinst den Grundstein für das größte jemals geschaffene Weltreich. Das Land war aber auch in der jüngeren Geschichte jener Satellitenstaat, der beim Zusammenbruch des Sowjetreiches weitgehend vergessen wurde. Doch jetzt, pünktlich zum runden Geburtstag, herrscht wieder Goldgräberstimmung, obwohl die Armut vor allem in den ländlichen Gebieten noch sehr groß ist. Der Aufschwung vollzieht sich vor allem in der Hauptstadt Ulan Bator.
Goldgräber-Gespräche im "Chinggis"
Hier und da fällt Laternenlicht auf verstaubte Bürgersteige. Die Plattenbauten sind kaum beleuchtet, die Kräne dazwischen bedrohlich aussehende Schattenrisse. Abends ist es gespenstisch in Ulan Bator. Es sei denn man geht ins "Chinggis, wo australischer Merlot zu Steppensuppe serviert wird. Inmitten seiner Gäste sitzt dort der Restaurantbesitzer Enkbayar und erzählt aus seinem Leben:
"Nach dem Abzug der Sowjets war die Mongolei ein Staat ohne Recht und Ordnung. Freie Bahn für jeden, der Geld oder Kontakte hatte", erinnert er sich. Er muss es wissen: Hat er doch selber jahrelang Waren zwischen China und Russland geschmuggelt. "Hin her, hin her: 200 Prozent Profit, kein Problem!, lacht er.
Enkbayar ist heute der erfolgreichste Geschäftsmann im ganzen Land. Sein Geld verdient er allerdings jetzt auf ehrliche Weise: Er besitzt Goldminen, die ihm Millionen von Dollar einbringen. Ein Drittel der Mongolei soll Bodenschätze bergen, sagt er, und auch andere wollen ihr Stück vom Kuchen abhaben.
Ulan Bator wimmelt derzeit vor Spekulanten und Jungunternehmern, die protzige Hummer-Geländewagen fahren. 30.000 Mongolen schürfen auf eigene Faust, 3.000 Unternehmer aus 73 Ländern haben bereits investiert.
Jetzt kann man reich werden
Es herrscht Aufbruchstimmung im ehemaligen Hinterhof des Sowjetreiches. An die Zeit vor der Wende erinnern nur noch Details. Auf dem Naran Tuul Markt, wo es früher nur Hammelfleisch, Rinderzunge und Graubrot gab, werden jetzt Blumen aus China, Fisch aus Russland oder Gummihandschuhe aus Taiwan verkauft. Neben den funktionstüchtig vor sich hingammelnden Sowjetbauten wachsen glitzernde Bürotürme. Internetcafés, Elektronikläden und Schnellimbisse schießen wie Pilze aus dem Boden.
Die Mongolei gilt als das jüngste Land der Welt. Drei Viertel der zweieinhalb Millionen Einwohner ist jünger als 35, die Hälfte unter 21. Entsprechend abgefahren ist das Nachtleben. Dann strahlen die metallblauen Streifen der Megadiskotheken in den Himmel, vermischen sich die Bässe von "Rammstein" mit mongolischem Pop.
Papierschablonen in den Wind werfen, um die Geister milde zu stimmen? "Nicht für mich", wehrt Ondrachpolt ab. Der 19-Jährige lebt nicht nach den Traditionen, die das Leben seiner Ahnen geprägt haben. Er will nach Europa, BWL studieren und dann so schnell wie möglich zurückkommen: "Unter den Sowjets hatten wir keine Chance, aber jetzt kann man reich werden!.
Ärmliche Verhältnisse in der Provinz
Moskau hat dereinst vieles versucht, um aus der Mongolei einen vorzeigefähigen Sattelitenstaaten zu machen. 760 buddhistische Klöster wurden zerstört, 15.000 Anhänger des Dalai Lama als Konterrevolutionäre hingerichtet. Das Zentralkomitee ließ aber auch Schulen, Spitäler und Häuser bauen, um die Bevölkerung sesshaft zu machen. Dennoch sind die Mongolen bis heute ein Land der Nomaden geblieben. Die Hälfte lebt immer noch fast so wie zu Dschingis Khan's Zeiten - gefangen im archaischen Kreislauf der Jahreszeiten, bestimmt von der Suche nach Weideland für die Tiere.
Amraa und seine Familie haben ihre Jurte im Terelj Nationalpark aufgeschlagen - gut eine Stunde Autofahrt von Ulan Bator entfernt. Irgendwie passt hier gar nichts zusammen. Auf dem Ofen dampft Buttertee. Die traditionell bemalten Holzmöbeln stehen auf PVC-Boden. Im Hausaltar hängt ein vergilbtes Foto des Dalai Lama, am Kühlschrank ein Mickey-Mouse-Aufkleber.
Macht sich auch in der Provinz Orientierungslosigkeit breit? Amraa winkt ab. Er würde nie in ein Steinhaus übersiedeln: "Die Touristen mieten im Sommer unsere Pferde. Das reicht, um uns den Winter über zu ernähren, sagt er, in in seiner Jurte sitzend, und verheizt nebenbei Plastikabfälle und Autoreifen.
Von hoher Arbeitslosigkeit geprägt
Noch sind fast die Hälfte aller Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig. Doch die Landflucht hält an, denn im Gegensatz zu Amraa ziehen viele Nomaden in die Hauptstadt, weil sie vom Aufschwung gehört haben.
Der Umbruch in der Hauptstadt ist zwar unverkennbar. Dennoch liegt die Arbeitslosigkeit in der Mongolei derzeit offiziell bei 20 Prozent, die realistische Dunkelziffer noch weit höher, nämlich bei 50 Prozent. Unter Männern grassiert der Alkoholismus. Die Zahl der jugendlichen, alleinerziehenden Mütter nimmt zu. In den offenen Kanaldeckeln liegen Spielzeug, Lumpen und leere Konserven: 5.000 Straßenkinder gibt es mittlerweile in Ulan Bator. Und es werden immer mehr.
Hör-Tipps
Journal-Panorama, Mittwoch, 30. August 2006, 18:25 Uhr
Betrifft Geschichte, Montag, 25. bis Freitag, 29. September 2006, jeweils 17:55 Uhr
Download-Tipps
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung "Journal-Panorma" nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Ö1 Club-DownloadabonentInnen können die Sendereihe "Betrifft Geschichte" gesammelt am jeweiligen Freitag nach dem letzten Teil der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Buch-Tipp
Gregor M. Schmid, "Die Mongolei", Nymphenburger Verlag, ISBN 3485010731
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Veranstaltungs-Tipp
Ausstellung "Dschingis Khan und seine Erben - Das Weltreich der Mongolen", täglich bis 1. November 2006, Schloss Schallaburg,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (EUR 2,-).
Links
Wikipedia - Mongolei
Mongolei online
Schallaburg