Brigitte Ederer im Sommergespräch

Die Wirtschaftsgeneralin

Einst war sie hoffungsvolle Jungsozialistin, dann Europa-Staatssekretärin während der Beitrittsverhandlungen, jetzt leitet sie einen wichtigen Konzern: Brigitte Ederer im Sommergespräch mit Ernest Hauer über Politik und Wirtschaft, über Österreich und Europa.

Sicherheit zwischen Bürger- und Geschäftsinteresse

Ihren größten politischen Erfolg feierte sie 1994 als Europa-Staatssekretärin. Damals entschieden sich mehr als 66 Prozent der Österreicher für einen EU-Beitritt.

2001 wechselte die SPÖ-Politikerin in die Privatwirtschaft zu Siemens Österreich. Seit etwa einem halben Jahr leitet sie nun diesen größten heimischen Technologiekonzern. Wie sie jetzt über Politik und Wirtschaft denkt, hat sie Ernest Hauer in der "Journal-Panorama"-Reihe "Sommergespräche" verraten.

Die Last der Verantwortung

"In Spitzenpositionen hat man das Problem, dass man das, was funktioniert, nicht erfährt. Man erfährt nur das, was nicht funktioniert. Daher hat man eine ganz selektive Art der Wahrnehmung, nämlich jene, dass es eigentlich nur Probleme gibt, und das ist sicherlich manchmal bedrückend.“

So erklärt Brigitte Ederer ihren persönlichen Wandel nach ihrem Wechsel von der Politik in die Wirtschaft. Seit sie Generaldirektorin bei Siemens Österreich und für 30.000 Menschen und deren Schicksale verantwortlich ist, habe - so Ederer - ihre spontane Fröhlichkeit nachgelassen. Sie sei etwas nachdenklicher geworden. Und obwohl Siemens Österreich verglichen mit anderen Unternehmen sehr gut dastehe, sei man heutzutage im Gegensatz zu früher bedingt durch den internationalen Wettbewerb zu mehr Veränderungen gezwungen, als einem lieb sei.

Für oder gegen die Atomkraft?

Zum Vorwurf, als ehemalige Anti-Zwentendorf-Aktivistin in führender Rolle in einem Unternehmen tätig zu sein, das etwa sämtliche deutsche Atomkraftwerke ausgestattet hat, entgegnet sie, dass Siemens jetzt aus der Atomkraft ausgestiegen sei. Man müsse aber künftig darüber diskutieren, wie die Energieversorgung der nächsten Jahrzehnte ausschauen soll:

"Wir haben mit Sicherheit in Zukunft mit einer Verknappung von Erdöl und Erdgas zu rechnen. Auch die Frage der Umweltbelastung, der CO2-Belastung wird künftig ein Thema sein.“ Das bedeute aber - so Ederer - kein "Ja“ für die Kernkraft; nur: die Voraussetzungen hätten sich heute geändert. Vielleicht sollte man die Energiediskussion daher noch einmal führen, wobei dabei natürlich die Sicherheit von Kernkraftwerken nach wie vor Vorrang haben sollte: "Wir haben im Hinblick auf die nächste Generation für eine langfristige Energieversorgung zu sorgen. Wasserkraftwerke oder Windräder allein sind dabei aber nicht ausreichend."

Über internationale Verantwortung

Angesprochen auf Großprojekte wie das türkische Ilisu-Staudamm-Projekt oder das Drei-Schluchten-Damm-Projekt in China oder auf die Diskussion rund um die Andritz-Lieferungen für das Zellstoffwerk in Uruguay, betont Brigitte Ederer, ein internationaler Konzern habe eine internationale Verantwortung. Die Frage sei dabei aber, wo diese Verantwortung beginne und wo sie ende:

"Natürlich kann man gegen diese Projekte sein. Es gibt auch gute Gründe dafür; es gibt aber auch gute Gründe für ein Zellstoffwerk, etwa jenen, um Menschen dort Arbeit zu verschaffen, um letztlich die Entwicklung einer Region zu ermöglichen. Natürlich ist das eine Gratwanderung, ein Abwägungsprozess.“

Mehr Nachhaltigkeit

Als echtes Problem in der heutigen Wirtschaft erachtet die Siemens-Chefin die Kurzfristigkeit von Entscheidungen und letztendlich die Dominanz von Analysten, des Finanzkapitals und Pensionsfonds, "weil damit" - so Ederer - "langfristige Investitionen, die sich erst später rechnen, kaum oder viel weniger eine Chance haben.“ Der direkte Einfluss der Pensionskassen, der großen Anleger, der Fonds - all das führe dazu, dass keine nachhaltigen Entwicklungen ermöglicht würden:

"Unter dem kolportierten Schlagwort 'Shareholder Value' gibt es aber - so glaube ich - in den letzten Wochen eine Entwicklung, die dahin geht, dass immer mehr Aktionäre bereit sind, mehr in Nachhaltigkeit zu investieren. Also das Pendel bewegt sich meiner Meinung nach ohnehin schon wieder zurück.“

Thema Altersversorgung

Auch die Gesamtgesellschaft leide unter dem "Shareholder Value“: "Viel zu viele Menschen, vor allem junge Menschen, sind der Meinung, die staatliche Säule der Altersversorgung wird ihnen nie ausreichend eine Altersversorgung garantieren. Daher beginnen sie jetzt schon, private Altersvorsorgen einzuzahlen. Das halte ich für besorgniserregend. Diese Ängste führen nämlich auch zu einer starken Konsum-Zurückhaltung, die letztlich schlecht für die Wirtschaft ist.“

Es herrsche in der heutigen Welt ja nicht eine Knappheit an Geld vor, sondern es gehe doch eher um die Frage: "Wo ist die höchste Rendite? Und das ist dann oft sehr risikoreich, wenn man sich z. B. die Aktienkurse anschaut: Die gleichen ja in den letzten Jahren einer Hochschaubahn.“

EU-Skepsis nicht gerechtfertigt

Als ehemalige Europa-Staatssekretärin ortet Brigitte Ederer in der österreichischen Bevölkerung eine große Skepsis gegenüber der EU, die nicht gerechtfertigt ist: "Wir sind doch eigentlich diejenigen, die von der Osterweiterung mit Sicherheit am meisten profitiert haben, und zwar nicht nur die Konzerne, auch unsere Bürger in den Ostregionen.“ Um der Skepsis entgegenzuwirken, habe ihr Unternehmen eine Kampagne unter dem Namen "Über den Tellerrand blicken“ ins Leben gerufen. International, nicht national denken, sei angesagt::

"Das gemeinsame Europa ist derzeit zu wenig im Bewusstsein der Menschen verankert. Das hat sogar innerhalb der EU der Irak-Krieg gezeigt. Hier hätte eigentlich die Union mit einer Stimme reden müssen. Da müssen einfach Mehrheiten stattfinden. Letztendlich muss es eine europäische Regierung geben, die eine europäische Verantwortung zeigt". Die europäischen Institutionen gehören nach Meinung Ederers jedenfalls gestärkt, auch auf Kosten eines Souveränitätsverlustes der Mitgliedstaaten, denn man könne große Themen wie Energieversorgung oder Umweltverschmutzung nicht mehr national lösen. Man sollte das gar nicht erst ausprobieren oder vielleicht den Leuten den Eindruck vermitteln, dass das irgendwie auch alleine zu bewerkstelligen sei.

Persönliche Zukunftspläne

In die Politik zurückzukehren, schließt Brigitte Ederer aus. Was sie in fünf Jahren machen wird, weiß sie noch nicht. In den nächsten beiden Jahren habe sie jedenfalls den Ehrgeiz, als Siemens-Generaldirektorin einen guten Job zu machen und sich zu beweisen.

Eine Alternative in fünf Jahren wäre etwa, Würstelstand-Betreiberin zu werden, meint sie scherzhaft, aber momentan sei es relativ schwierig, in Wien einen Würstelstand zu bekommen, bei dem man wirklich als Unternehmer tätig sein könnte. Daher würde sie eher vorausblickend sagen, Siemens-Generaldirektorin zu bleiben oder in Pension zu gehen.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Mittwoch, 23. August 2006, 18:25 Uhr

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Links
Wikipedia - Brigitte Ederer
Siemens AG Österreich