Syrien ein "Schurkenstaat" oder Vermittler?

Kein Frieden ohne Damaskus?

Für die USA ist Syrien ein "Schurkenstaat"; auch die EU hat sich abgewandt. Dennoch beginnt sich der Westen angesichts des aktuellen Konflikts wieder um das Baath-Regime zu bemühen, nicht zuletzt dank seiner Beziehungen zur Hisbollah und Hamas.

Arabische Meinungen über den Libanon-Konflikt

Während Syrien in den USA und Israel als "Schurkenstaat" gilt, scheint sich in Europa angesichts des aktuellen Libanon-Konflikts nach und nach die Erkenntnis durchzusetzen, dass ohne Damaskus kein Frieden in der Region möglich ist.

Daher bemühen sich westliche Regierungsvertreter, Diplomaten und Politikberater zunehmend um das Baath-Regime. Denn Syrien, neben dem Iran der wichtigste Verbündete militanter Organisationen wie Hisbollah oder Hamas, könnte entscheidend vermitteln - allerdings nur, wenn seine eigenen Interessen berücksichtigt werden.

Kein Feind, sondern Bruder

Erst im Frühjahr 2005 zog Syrien nach dem Mord an dem ehemaligen libanenischen Ministerpräsidenten Rafik Al Hariri und anti-syrischen Massenprotesten seine Truppen aus dem Libanon ab. Das Verhältnis zwischen Beirut und Damaskus ist seitdem angespannt. Die Menschen wüssten jedoch durchaus zu unterscheiden zwischen Regierung und Bevölkerung, sagt Marwan Kabalan, ein syrischer Politikwissenschaftler:

"Die Hälfte der Libanesen hat Verwandte in Syrien. So ein enges Verhältnis geht nicht kaputt, nur weil die Regierungen sich gerade nicht mögen. Die Libanesen realisieren gerade jetzt, dass Syrien als Auffanglager zahlreicher Flüchtlinge ein Freund des Libanon ist. Die Mehrheit der Libanesen hasst die Syrer nicht, sie wollen nur nicht, dass sie sich in ihr Leben einmischen. Aber sie unterscheiden zwischen Syrern und Israelis: Israel ist ein Feind, Syrien ein Bruder.“

Persona non grata als Brückenbauer

Auch Sami Moubayad, ein syrischer Nahostexperte und Buchautor meint: "Nicht Syriens Präsident Bashar al-Assad hat den Westen verlassen, der Westen hat Bashar al-Assad verlassen. Der Konflikt mit den USA, der Mordfall Hariri, der Irakkrieg - all das hat dazu geführt, dass der Westen das syrische Regime fallengelassen hat."

Heute sind Russland, China und der Iran Syriens wichtigste Verbündete, daneben islamistische Gruppen wie Hisbollah und Hamas. Damaskus fungiert als Brückenkopf zwischen der sunnitisch geprägten arabischen Welt und dem schiitischen Iran. Präsident al-Assad - vom Westen als "Persona non grata“ abgestempelt - spielt den Brückenbauer: Als Alawit gehört er der schiitischen Glaubensrichtung an, verheiratet ist er mit einer Sunnitin und als Araber beschwört er die arabische Einheit.

Anti-amerikanisches Zweckbündnis

Auch die libanesische Hisbollah ist schiitisch, die palästinensische Hamas sunnitisch, der Iran hingegen ein islamischer Gottesstaat mit demokratischen Elementen. Was Syrien als ein säkulares Ein-Parteien-Regime dennoch dazu bewogen hat, ein anti-amerikanisches Zweckbündnis einzugehen, ist die gemeinsame Feindschaft zu Israel und das Gefühl, von der westlichen Staatengemeinschaft im Stich gelassen zu werden.

Auch innenpolitisch profitiert das syrische Regime von diesem Bündnis, erklärt Politikberater Samir Al Taki: "Bashar al-Assad hört auf die Syrer, nicht auf die Amerikaner. Dadurch sitzt er fester im Sattel als König Abdallah in Jordanien, Musharraf in Pakistan oder Mubarak in Ägypten." Das Baath-Regime unterstützt deshalb jede Form von Widerstand, selbst wenn er islamistisch motiviert ist. Es gewährt Hamas-Funktionären Unterschlupf und - so vermuten Beobachter - versorgt die Hisbollah mit iranischen Waffen. Auch die Stimmung im Land ist anti-israelisch. Die wochenlange Unfänigkeit des Weltsicherheitsrates im Libanon-Konflikt hat das Vertrauen in die Vereinten Nationen tief erschüttert.

UNO-Stationierung keine Endlösung

Der aktuelle Konflikt habe die Hisbollah nur populärer und stärker gemacht, sagt der Politologe Marwan Kabalan. Wer die libanesische Miliz entwaffnen wolle, müsse anders vorgehen. Er fordert daher die internationale Gemeinschaft auf, Israel dazu zu bewegen, sich von den besetzten Sheeba-Farmen zurückzuziehen und die libanesischen Gefangenen freizulassen. Dann hätte die Hisbollah dem innenpolitischen Druck nichts mehr entgegenzusetzen.

Auch Politberater Samir Al Taki hält von der Stationierung internationaler Truppen wenig. Sämtliche UNO-Einsätze im Nahen Osten hätten gezeigt, dass Blauhelmsoldaten für ihre Arbeit einen stabilen Waffenstillstand brauchen und folglich das Einverständnis der Konfliktparteien. Auch mit einem robusten Mandat könnten ausländische Truppen keinen Frieden bringen, sondern nur Frieden sichern. Der vierwöchige Konflikt zwischen Israel und Hisbollah-Kämpfern machte auch deutlich, dass die so genannte "Partei Gottes" militärisch nicht zu besiegen ist. Politologe Kabalan fordert deshalb, sie politisch einzubinden und dadurch zu entmilitarisieren: "Wenn man die Hisbollah als Miliz zerstört, existiert sie immer noch als soziales Netzwerk und politische Partei. Mehr als eine Million Libanesen unterstützen sie aber. Um sie auszulöschen, müsste man eine Million Libanesen umbringen.“

Syriens Interessen

Die wachsende Macht der Islamisten birgt für Damaskus aber auch Gefahren. Ihre Popularität führt zu einem Erstarken des politischen Islam in Syrien - für das säkulare Regime eine bedrohliche Entwicklung. Syriens Interessen bestehen deshalb darin, zwischen Hamas und Hisbollah einerseits und den USA und Israel andererseits zu vermitteln und den Nahostkonflikt insgesamt zu lösen.

Europäische Diplomaten greifen dieses Angebot bereits auf. Sie haben erkannt, dass die Militanten zumindest indirekt an Verhandlungen beteiligt werden müssen, wenn eine Friedensvereinbarung von Dauer sein soll: "Eine Chance für Syrien", meint auch Samir Al Taki. Denn jetzt könnte der von den Israelis besetzte Golan auf die Tagesordnung der Weltgemeinschaft zurückkehren.

Die Vermittlerrolle Syriens

Syrien habe zwar nicht so großen Einfluss auf die Hisbollah wie etwa der Iran. Ähnliches gelte für die Hamas. Aber beide würden auf Syrien hören und Rücksicht auf syrische Positionen nehmen, unterstreicht der Politologe Kabalan. Erste Voraussetzung für eine Lösung des Konflikts sei aber ein Umdenken in Washington, sagt Samir Al Taki, und Marwan Kabalan bestärkt ihn: "Eine solche Lösung könnten nur die Amerikaner herbeiführen. Weil diese sich aber bislang weigern, direkt mit Damaskus zu reden, sind europäische Vermittler willkommen."

Sollten jedenfalls Amerikaner und Europäer auf Syriens Vermittlerrolle eingehen, könnte gelingen, was westliche Politiker schon länger diskutieren: einen Keil zwischen Damaskus und Teheran zu treiben. Denn wenn Syrien mit am Verhandlungstisch sitzt, wäre der Iran weiter isoliert, so das Kalkül.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Montag, 21. August 2006, 18:25 Uhr

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Links
Wikipedia - Nahost-Konflikt
ZEIT online - Nur mit Syrien