Das Deutsche als Zwiespältiges und Zerrissenes
Zu Robert Schumanns 150. Todestag
Wenn man sein Wesen als Inkarnation des Deutschtums darstellt, wie z. B. Nietzsche, dann ist - zumindest das kreative Deutsche - etwas Zwiespältiges, Widerstreitendes und Zerrissenes: Robert Schumann, der vor 150. Jahren von seinen Leiden erlöst wurde.
8. April 2017, 21:58
Wenn man einen Preis für die schönsten Liebesbriefe der Musikgeschichte vergeben würde, dann müssten ihn Robert Schumann und Clara Wieck erhalten, für ihren Stil, die Fähigkeit ihre Gefühle in Worte zu fassen, wie überhaupt für sprachliche Poesie von literarischer Qualität. Nicht ohne Grund habe ich Robert zuerst genannt, denn der neun Jahre ältere hat am Beginn des Briefwechsels natürlich die Reife des sprachlichen Ausdrucks für sich, das Kind Clara wirkt anfangs - mit dreizehn Jahren - noch etwas unbeholfen, wie als Schülerin zum Lehrer aufblickend, doch hat sich das im Lauf der Jahre schnell geändert.
Mehr als 500 Briefe umfasst die Gesamtausgabe, die auch kulturhistorisch interessante Aspekte bietet, ebenso wie Einblicke in Roberts Komponistenwerkstatt und in den Alltag von Claras internationaler Pianistenkarriere des 19. Jahrhunderts. Einige der schönsten daraus - gelesen von Brigitte Karner und Peter Simonischek - bilden die literarische Basis der fünfteiligen Schumann-Serie in Apropos Musik in diesem Monat.
Zwiespältig, widerstreitend und zerrissen
Als blond und blauäugig hat der Wiener Kritiker und Satiriker Hans Weigel einmal Schumanns Musik bezeichnet, von der schon Nietzsche behauptet hat, sie sei nur ein deutsches Ereignis gewesen, kein europäisches, wie er das im Falle Beethovens - und noch mehr - Mozarts ausgedrückt hat.
Wenn dem so ist, und wenn man also das Wesen Schumanns als Inkarnation des Deutschtums darstellt, und nicht etwa Richard Wagner diese fragwürdige Position in der Musikgeschichte zukommen lassen will, mit dessen Opern beide ihre ganz persönlichen Rezeptionsprobleme hatten - Weigel und Nietzsche - dann ist das Deutsche, zumindest das kreative Deutsche etwas Zwiespältiges, Widerstreitendes, Zerrissenes.
Schumanns zweite Seelen Florestan und Eusebius
Zumindest zwei Seelen wohnten in seiner Brust, denen Schumann die Namen Florestan und Eusebius gegeben hat, der eine, den kraftvoll-vorwärtsstürmenden männlichen Teil seiner Künstlernatur repräsentierend und Eusebius, die mehr innerliche, vielleicht auch weibliche Seite. In seinen Schriften lässt er daneben noch vermittelnd einen "Meister Raro" auftreten, in dem die Schumann-Literatur den Vater Klaras, Friedrich Wieck zu erkennen glaubt, der die beiden Gegensätze zu einer höheren Einheit verschmelzen soll.
Das basiert auch auf Schumanns Davidsbündler-Ideen, die sich wie ein roter Faden durch seine Schriften ziehen, dem Kampf gegen die Philister gewidmet. All das ist zum Teil ein fantastisch-ideelles Maskenspiel, das auch - in etlichen seiner Klavierwerke - zu einem musikalischen wird - von Schumann bewusst mit verschwörerischer Geheimnistuerei versetzt, im Zeitalter des Staatskanzlers Metternich (zwischen den Revolutionsjahren 1830 und 1848) auch ein bewusstes Zeichen geistiger Eigenständigkeit und Originalität.
Am 29. Juli 1856 gestorben
Vor 150 Jahren, am 29. Juli 1856, ist Robert Schumann gestorben. Besser: Ist er von seinen Leiden erlöst worden, denn zu diesem Zeitpunkt hatte er schon zweieinhalb Jahre in einer geschlossenen Anstalt verbracht.
Schizophrenie hieß eine von mehreren posthumen Diagnosen. Zwar lassen die kärglichen medizinischen Quellen verschiedene Schlüsse zu. Doch wie es die Ärzte auch immer sehen mögen, eine gespaltene Persönlichkeit ist er schon in musikalischer Hinsicht gewesen.
Von Hoffmanns Werken fasziniert
In seinen Schriften führten Florestan und Eusebius, die Individuen seiner "Doppelnatur", die sich in seiner Musik widerstreitend ergänzen, Dialoge, ja Streitgespräche, was eine neue Art von Musikkritik ergab, fern von den theoretischen Analysen E. T. A. Hoffmanns. Übrigens faszinierten ihn Hoffmanns Schriften außerordentlich.
In ihrer Fantastik sind sie in mehrere Werke eingeflossen, nicht nur in die "Nachtstücke" und in "Kreisleriana". Über letztere schreibt er an Clara: "Da wirst Du lächeln so hold, wenn Du Dich in 'Kreisleriana' wieder findest. Meine Musik kommt mir jetzt selbst so wunderbar verschlungen vor - bei aller Einfachheit, so sprachvoll aus dem Herzen, und so wirkt sie auf alle, denen ich sie vorspiele."
Ein Tondichter - im wahrsten Sinn des Wortes
Tondichter muss man Schumann nennen, und zwar in jedem Sinn des Wortes, denn seine Sprache war nicht nur Musik, sondern er handhabte das geschriebene Wort ebenso handwerklich gekonnt, ausdrucksstark und poetisch wie seine Sonaten, Noveletten und Romanzen entstanden. Auch das macht die Einmaligkeit Robert Schumanns in der Musikgeschichte aus, die Ebenbürtigkeit seiner beiden schöpferischen Begabungen als Musiker und als Schriftsteller.
Es ist wahrscheinlich nur schwer zu entscheiden, ob der Nachwelt mehr Buchstaben oder mehr Notenköpfe von seiner Hand überliefert sind, die Buchstaben Schumanns sind jedenfalls bis heute bei der Beurteilung der Musikgeschichte ebenso ins Hintertreffen geraten, wie die Noten des E. T. A. Hoffmann, die einen zu Unrecht und die anderen zu Recht.
Hör-Tipps
Robert Schumann, "Das Paradies und die Peri", Samstag, 29. Juli 2006, 19:30 Uhr
Apropos Musik, "'Du bist wie eine Blume ...' Robert Schumann zum 150. Todestag", es lesen Brigitte Karner und Peter Simonischek, 5. und letzter Teil: Sonntag, 30. Juli 2006, 15:06 Uhr
Link
Wikipedia - Robert Schumann