Ein großes Jubiläumsjahr eines Schriftstellers
Die Erzlügner und ihre Lügen
Der serbische Schriftsteller Jovan Sterija Popovic feiert 2006 zwei Jubiläen: Vor 200 Jahre wurde er geboren, vor 150 Jahren starb er. In Serbien sind derzeit gleich vier Aufführungen von "Die Lüge und der Erzlügner" zu sehen. Ist das nicht ein Zeichen?
8. April 2017, 21:58
Man könnte den ältesten serbischen Komödienschreiber Jovan Sterija Popovic als Visionär bezeichnen. Manche Erscheinungen haben sich in den letzten 200 Jahren überhaupt nicht verändert. Sie haben sich einfach an die neuen Verhältnisse angepasst.
Diese einfache Feststellung über Sterija Popovic (1806-1856) in einem Artikel des in Serbien führenden Webportals Krstarica (Kreuzer) ist nur einer von vielen Kommentaren, die in diesem Jahr über diesen, nicht nur für Serbien, wichtigen Schriftsteller erschienen sind.
Für die Bewunderer der Jubiläen ist Jovan Sterija Popovic gerade 2006 ein dankbarer Fall. Bei ihm können wir zwei "runde" Jubiläen feiern, 200 Jahre seines Geburtstages und 150 Jahre nach seinem Tod. Nicht zu Jubiläumsfeiern neigenden Menschen sind über die Aktualität des längst verstorbenen Popovic erstaunt.
Probleme einst und jetzt
In der Zeitschrift "Vreme" ("Die Zeit") aus Belgrad analisiert Ivan Medenica unter dem Titel "Jovan Sterija Popovic heute - von der Lüge bis zum Erzlügner" (eine Paraphrase auf eine Komödie von Sterija Popovic "Die Lüge und der Erzlügner") die Tatsache, dass in Serbien gleichzeitig vier Aufführungen dieses Stückes zu sehen sind.
Ist das nicht ein Zeichen, wundert man sich in "Vreme", dass in Serbien heutzutage die Probleme, über die Popovic geschrieben hat, noch nicht überwältigt sind?
Lob von Miroslav Krleza
Der kroatischer Schriftsteller Miroslav Krleza (1893-1981), ein ausgezeichnete Kenner der Literatur der "jugoslawischen Völker", zählte 1948 in einem seinen Essay über die zeitgenössischen Theaterstücke des damaligen Jugoslawiens etwa 35 bis 40 Werke, die bis zur Zeit, in der er das Essay veröffentlichte, wirklich von Wert waren.
Zwei Autoren, die für das Theater schrieben, bezeichnete er als so gut, dass sie mit besten Stücken der Weltliteratur auf gleicher Qualitätsebene stehen. Einer war der kroatische Komödiegraf Marin Drzic (1508-1567) aus Dubrovnik und der zweite Jovan Sterija Popovic. Diese zwei Dichter haben laut Krleza uns Menschen in außergewöhnlich schweren und bedrängten Zeiten mit "großem Lachen" geheilt: Drzic während der türkischen Angriffe bis nach Szigetvár und Sterija Popovic in der Zeit um 1848. Merkwürdigerweise drehen sich die Stücke beider Autoren um das Motiv Geiz.
Die Welt von Jovan Sterija Popovic
Jovan Sterija Popovic wurde in der Stadt Vrsac (Werschetz) im serbischen Banat zwischen Belgrad und der rumänischen Grenze geboren. Eine Zeitlang belegte er höchsten Posten in Unterrichtsministerium des Fürstentums Serbiens. Enttäuscht von den Geschehnissen und Folgen von 1848 kehrte er in seine kleine Stadt zurück, wo er bis zu seinem Tod zurückgezogen lebte.
Neben den schon erwähnten Stücken "Die Lüge und der Erzlügner" und "Der Geizhals" erzielten noch "Die Möchtegern-Dame" und "Die Patrioten" große Popularität.
Die kühne Analyse der serbischen Gesellschaft in der Zeit des Umbruchs und die scharfe Charakterisierung seiner Figuren machten ihn zu einem der meistgesehenen Dramatiker im süd-osteuropäischen Raum. 200 Jahre nach seinem Geburtstag ist die Situation in diesem Gebiet ähnlich: Man erlebt wieder große historische Änderungen. Was uns aber überrascht, ist die Tatsache, dass sich die Welt der Hochstaplern, Lügner, der Möchtegern-Damen und der Patrioten im Laufe des Jahrhunderts kaum geändert hat.
Eigenutz und Freiheit
Für seine Komödie "Die Patrioten" verwendete Popovic als Motto des Stückes ein Zitat von August von Kotzebue: "Die Freiheit hat ein großes Fastnachtsbuch aufgeschlagen; ein jeder kauft von ihr Larven, und verbirgt seine Leidenschaften dahinter. Der Eigennutz spielt auf zum Tanze." Das Publikum heute hat das erkannt und lacht noch immer über die Patrioten und sich selbst.
Wie Krleza noch schrieb: "Die Stücke von Jovan Sterija Popovic leben szenisch noch immer und sie werden so lebendig für ewig bleiben." Das nächste runde Jubiläum von Jovan Sterija Popovic kommt, angeblich, 2056.