Heilung durch Architektur?

Architektur und Psychiatrie

Der Narrenturm beim Alten AKH und das Jugendstilspital am Steinhof sind die bekanntesten psychiatrischen Bauwerke in Wien. Was erzählt die Architektur dieser "Irrenanstalten" über die Lebensweise und gesellschaftliche Stellung von psychisch Kranken?

Die Geschichte der psychiatrischen Krankenanstalten ist eine vergleichsweise kurze. In Österreich gibt es erst seit den josephinischen Reformen eigene Krankenanstalten für psychisch kranke Menschen. Zuvor wurden sie gemeinsam mit Verbrechern in Arbeits-, Zucht- oder Armenhäusern "verwahrt".

Befreiung der Geisteskranken

Doch dann setzte sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass es sich bei psychischen Störungen um Krankheiten dreht, die behandelt werden sollten und nicht um Besessenheit und Ausdruck des Bösen. Auch der französische Psychiater Pinel und sein Ruf nach der Befreiung der Geisteskranken beeinflusste die Errichtung eigener psychiatrischer Heilanstalten.

In Wien wurde Ende des 18. Jahrhunderts am Gelände des alten AKH der Narrenturm, genannt "Kaiser Josephs Gugelhupf", errichtet. Örtlich außerhalb der Stadt gelegen, unterschied er sich zwar von der Architektur eines Gefängnisses, die für die Gesellschaft sichtbaren Behandlungsmethoden waren es im Wesentlichen nicht.

Ländliche Umgebung sollte heilen

Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde - unter anderem. geplant von Otto Wagner und Carlos von Bloog - der "Steinhof" (heute Otto Wagner-Spital) errichtet. Das Gelände der "Nervenheilanstalt" befand sich weitab vom Stadtkern, der damaligen Psychiatrie-Ideologie entsprechend in fast ländlicher Umgebung, die für heilsam gehalten wurde.

Isolation vom urbanen Geschehen

Gleichzeitig war die Entfernung von der Stadt auch ein architektonisches Zeugnis für die Einstellung gegenüber psychisch Kranken: weitab von der Kenntnisnahme durch die Gesellschaft, die ihr Gewissen durch das Jugendstiljuwel beruhigt sah. Im Zeitalter der Vernunft war es leicht, jeden der sich unvernünftig verhielt, auszugrenzen.

Der Steinhof, die "weiße Stadt", bestand aus 34 Pavillons, Theater, Verwaltungsgebäuden sowie einem landwirtschaftlichem Betrieb und war damals die größte psychiatrische Einrichtung Europas. Die alles überragende Kirche wurde zum Symbol der Macht des Geistes über die Irrationalität der Krankheit.

Die Pavillons sind nicht gleich als Behandlungseinrichtungen für psychisch Kranke erkennbar, Gitter sind zwar vorhanden, treten optisch aber nicht in Erscheinung. Die am schwersten kranken Patienten wurden am weitesten vom Verwaltungsgebäude entfernt untergebracht.

Öffnung der Psychiatrie seit den 1970ern

Seit den 1970er Jahren hat sich das Bild psychiatrischer Einrichtungen zunehmend gewandelt. Leitmotive der moderne Psychiatrie sind

  • die Öffnung der psychiatrischen Abteilungen
  • Regionalisierung anstatt Zentralisierung
  • generell Bevorzugung ambulanter Therapie vor stationärer.
Dementsprechend hat sich auch das architektonische Bild gewandelt: Es gibt nicht mehr nur eine Großanstalt sondern viele kleinere dezentrale Einrichtungen; diese sind vorzugsweise in Allgemeinkrankenhäuser integriert.

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  • Welche Architektur brauchen psychisch Kranke?
  • Inwiefern reflektiert Krankenhausarchitektur die Wertschätzung von psychisch Kranken?
  • Können Farben, Formen, Dimensionen heilende Wirkung haben?
  • Welche architektonischen Elemente (z.B. Übersichtlichkeit, Großzügigkeit, Ästhetik) sind für Sie wichtig, damit Sie sich in einem Krankenhaus wohl fühlen und zurecht finden.
Nach der Sendung werden unsere Sendungsgäste bis zirka 15:15 Uhr Ihre Fragen im Diskussionsforum beantworten.

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Radiodoktor, Montag, 10. Juli 2006, 14:20 Uhr

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