Von höheren und tieferen Gehirnregionen

Wie entsteht das Ich-Gefühl?

Wie kommt die Außenwelt in die Innenwelt? Warum bekommen äußere Stimuli für jemanden innere Bedeutung? Auf eine der ältesten Fragen der Philosophie gibt es seit kurzem eine Antwort aus der Neurowissenschaft: die Mittellinie des Gehirns.

Große Begriffe wie oder “das Ich“ oder "das Selbst“ interessieren den Magdeburger Psychiater und Philosophen Georg Northoff seit langem. Aus der Überzeugung heraus, dass es im Hirn beobachtbare Prozesse geben muss, die für das innere Erleben entscheidend sind, hat er versucht, ihnen auf die Spur zu kommen.

Georg Northoff arbeitet mit verschiedenen bildgebenden Verfahren an gesunden und kranken Menschen. Das wichtigste Ergebnis seiner Arbeiten: Der Schlüssel zum Ich-Erleben liegt im - evolutionär betrachtet -ältesten Teil des Gehirns, genau in der Mitte, es ist die so genannte Mittelinie.

Die Mittellinie des Gehirns

Die Arbeiten sind auf der Grundlage von Ergebnissen anderer Forscher entstanden, wie dem amerikanischen Neurowissenschafter Jaak Panksepp von der Washington State University.

Panksepp hat sich als einer der ersten im 20. Jahrhundert mit den biologischen Grundlagen von Emotionen beschäftigt, und zwar bei Tieren. Auch ihn interessiert die Mittellinie bei Säugetieren. Sie verläuft von der Hirnrinde tief hinunter in den Hirnstamm.

In der Mitte des Gehirns gibt es primitive Repräsentationen aller Organe des Körpers und aller wichtigen Emotionen. Diese Repräsentationen sind eine Grundbedingung für das Ich-Erleben. Panksepp hat vor allem die tief liegenden Regionen untersucht.

Northoffs Gruppe hat bei Menschen herausgefunden, dass diese Areale in die höheren Hirnregionen hineinreichen. Genau da entsteht das Gefühl, dass etwas für einen persönlich wichtig ist.

Subjektives Erleben und Hirnaktivität

Von der Mittelinie als Sitz der Subjektivität will Georg Northoff aber nicht sprechen. Es handle sich dabei um einen komplexen Prozess, den man noch näher aufklären müsse.

Northofff ist zu seinen Ergebnissen gekommen, indem er das subjektive Erleben anhand von emotionalen Bildern auf zwei Arten erfasst hat: Einerseits wurden den Testpersonen Bilder gezeigt und sie sollten auf einer Liste ankreuzen, wie sehr sie die Bilder persönlich bewegen. Anderseits wurde mit der funktionellen Magnetresonanztherapie überprüft, wie stark bestimmte Hirnareale beim Betrachten dieser Bilder aktiv sind. Es gab eine klare Übereinstimmung zwischen Mittellinienhirnaktivität und subjektivem Erleben.

Wichtig für die Therapieauswahl

Bei depressiven Menschen fällt auf, dass die Mittellinie stark überaktiv ist. Außerdem fällt auf, dass die Aktivität in den seitlichen Hirnregionen fällt fast völlig blockiert ist. Das könnte erklären, warum depressive Menschen ganz auf sich selber bezogen sind und ihre Umwelt kaum registrieren.

Das glatte Gegenteil zum Befund bei Depressionen sind - wenig überraschend - Bilder von Borderline -Patienten, also Menschen die sich selbst nicht spüren. Bei ihnen ist die Mittelinie äußerst passiv, selbst dann, wenn sie bei Befragungen angeben, dass die Bilder sie emotional berühren.

Die neuen Erkenntnisse könnten für die optimale Wahl einer Therapie genützt werden und auch für die Kontrolle des Therapieverlaufs. Es könnte auch überprüft werden, ob Patient und Therapeut harmonieren. Das ist für den Behandlungserfolg nicht unerheblich.

Noch ist die Methode grob. Dennoch könnte sie ein Schritt zu einem besseren Verständnis für die Arbeitsweise unseres Gehirns sein.

Download-Tipp
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