Gedicht-Collagen von Herta Müller
Die blassen Herren mit den Mokkatassen
Herta Müllers Collage-Verse erinnern an Kinderabzählreime. Was sich viel reimt, macht Spaß, holpert aber auch - und schafft "Unbehagen". Die Sprache, selbst als wundersame Wort-Collage, ist nicht allein dazu da, im Lichte der Schönheit und der Reinheit zu erstrahlen.
8. April 2017, 21:58
der Hündin von der Nachbarin der wuchs ein Frauenohr / schon den halben Tag davor / lag sie steif am Schiebetor / im weiß gerippten Frost / da kam mit einem Briefumschlag der Mann von neben an / riss ihr ein Büschel Haare aus / und ging damit zur Post
Solche Texte steckt man gern in die Schublade, auf der geschrieben steht: "Unsinns-Gedichte" oder "Nonsens-Poesie". Der eben zitierte Text stammt aus Herta Müllers neuem Band "Die blassen Herren mit den Mokkatassen". Es handelt sich dabei um eine Sammlung von 105 Gedicht-Collagen. Mit Schere und Kleber ist da die Autorin unterwegs gewesen, hat Worte aus Zeitungen ausgeschnitten und dann sinnvoll aneinandergeklebt.
Aber halt! War nicht eben von "Unsinn" und von "Nonsens" die Rede gewesen? Tja, es kommt eben darauf an, was man für unsinnig erklärt. Und ganz unsinnig können solche Texte ja nicht sein, denn sie folgen einfach den Regeln der Grammatik. Viele von ihnen wird man komisch finden, man wird vielleicht sogar lachen müssen. Und "sinnlose Komik" gibt es eigentlich nicht.
Gewaltphantasien aus dem Unterbewussten
doch der Grenzer hatte Augen / wie zwei schief halbierte Kirschen / und hüfthoch einen schwarzen Hund / und wie ein Stückchen von der Kerze eine kalte Zigarette links im Mund
Hunde und Männer, die andere observieren oder gar Gewalt anwenden, kommen in Herta Müllers lyrischen Collagen öfters vor. Ist das Zufall? Der Surrealistenführer André Breton ermunterte seine Künstlerfreunde, eben solche Gedicht-Collagen zu verfassen, weil die zufällige Anordnung von ausgeschnittenen Worten und Satzteilen einiges über das eigene Unterbewusste aussagen würde.
Wenn in Herta Müllers Collagen Hunde, Polizisten und Könige auftauchen, so ist das nicht die vorgespielte unterbewusste Manifestation von Gewalt, sondern das Gewalttätige und Bedrohliche soll in den Texten unterschwellig mitschwingen. Als gebürtige Rumänin sind es wahrscheinlich Müllers Erinnerungen an die Schreckensherrschaft des Diktators Ceausescu, die hier durch ganz bestimmte Worte anklingen. Die Gewalt soll aber keineswegs heraufbeschworen werden, sondern sie soll mittels Poesie "Ohne-Sinn", mittels der Komik der Collage künstlerisch in Schach gehalten werden.
Surreale Wortbildungen
da kam ein Mann mit einem goldenen Zahn / er fragte mich / was ist ein Parallelogramm / da sagte ich / weiß ich doch nicht / da sagte er / macht nichts Madame / ich kenne zwei / die es als Kleinkram bei sich tragen / aber auch als Schuheinlagen / an besonders kalten Tagen / da sagte ich / wenn Sie das meinen / kenn ich den einen / auch persönlich / den anderen vom Hörensagen / das reicht mir schon / ganz ordentlich fürs Unbehagen
Herta Müllers Collage-Verse erinnern an Kinderabzählreime. Was sich viel reimt, macht Spaß, holpert aber auch - und schafft "Unbehagen". Die Sprache, selbst als wundersame Wort-Collage, ist nicht allein dazu da, im Lichte der Schönheit und der Reinheit zu erstrahlen.
Ebenso wie den Versen ergeht es den vielen surrealen Wortbildungen Müllers. Da gibt es seltsame "Verandaschneider", einen "Versöhnungsingenieur", mehrere "Schleichengel". Doch plötzlich treten die "Weiße-Kragen-Täter" ins Wortspiel, mit ihren "granatroten Pfoten". Und wer dann die "Zirkushunde" heulen hört, der wird zum "Fluchtfasan".
Farbige Texte und Bildcollagen
Im Buch "Die blassen Herren mit den Mokkatassen" sind die Gedicht-Collagen als Faksimile abgedruckt. Anders als Arp oder Breton arbeitet Müller mit Farben. Das heißt, nicht nur Worte in bekannter Druckerschwärze sind abgebildet, sondern auch solche, die aus bunten Magazinen stammen. Auch hierbei wird Herta Müllers Doppelstrategie deutlich: Neben Grün, Blau und Gelb dominieren blutrote Worte oder solche, deren weiße Schrift in schwarzen Rechtecke gesperrt sind.
Zu jedem Gedicht hat Herta Müller auch noch eine eigene Bildcollage gestaltet. Meist sind auf diesen Menschen abgebildet, die sich in surrealen Traumlandschaften bewegen: Ein Mann fliegt durch die Luft, ein Mantelträger mit hängendem Kopf geht auf einem Messband entlang, mehrere Personen befinden sich in einem überdimensionalen Labyrinth. Nicht alle, so doch viele Motive lassen an Alpträume denken. Unsere Sprach-Bilder im Kopf und diejenigen, die wir aufs Papier bringen, sind bunt, komisch, skurril, voll Lebensfreude. Aber es gibt auch die Auslöschung der Schrift, die Bedrohung des Lebens. Das ist, wenn man so will, die "Botschaft" Herta Müllers in ihrem Band "Die blassen Herren mit den Mokkatassen".
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Download-Tipp
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Buch-Tipp
Herta Müller, "Die blassen Herren mit den Mokkatassen", Carl Hanser Verlag, ISBN 3446206779