Skandal mit Che-Guevara-Oratorium

Hans Werner Henze wird 80

Hans Werner Henze, der große melodische Neutöner des 20. Jahrhunderts, wird am Samstag 80 Jahre alt. Henze ist der wohl berühmteste und prominenteste lebende deutsche Komponist. Derzeit arbeitet er an einem großen Opernwerk.

Le Miracle de la rose (Ausschnitt)

Er war krank, sehr krank, schwer gestürzt im eigenen Haus, lag lange im Koma. Jetzt arbeitet er wieder. "Ich bin dabei, meine neue Oper "Phaedra" zu komponieren", sagt Hans Werner Henze. Das Werk, ein Ko-Auftrag mehrerer europäischer Opernhäuser, soll im Herbst 2007 an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin uraufgeführt werden.

Dabei hat Henze schon so viel geschaffen in seinem langen Künstlerleben, mehr als 130 musikalische Werke zählen die Experten, darunter Opern, Symphonien, Konzerte, Lieder und Filmmusik. Die Arbeit fällt ihm schwer, doch aufgeben will er nicht. Am 1. Juli wird Hans Werner Henze 80 Jahre alt - der berühmteste und prominenteste lebende deutsche Komponist.

Henze komponierte schon als Kind

"Ein Westfale, der in die Welt zog" - so nannte ihn ein Kritiker einmal. Geboren in Gütersloh als Sohn eines Lehrers, komponierte Henze schon als Kind, fand später zur musikalischen Revolution der Zwölftonmusik und entfloh schließlich dem Nachkriegs-Muff der Bundesrepublik.

Seit über 50 Jahren lebt er in Italien, derzeit in den Albaner Bergen vor den Toren Roms - dort, wo im Sommer auch die Päpste Ruhe suchen. "83 Olivenbäume muss ich verwalten und behüten", sagte Henze einmal. Das heiter-musische Italien hat es ihm angetan. "Ich habe es nie bereut."

Überwindung der Dodekaphonie

"Von Anfang an hatte ich Sehnsucht nach dem vollen, wilden Wohlklang", heißt sein musikalisches Credo. Nach dem Krieg studierte er Schönbergs "Lehre der Komposition mit zwölf Tönen", komponierte selbst zwölftönige Stücke.

Doch dabei blieb es nicht. Henze, der Eigenwillige, ging rasch auf Distanz zur neuen Welle. "Ich wollte meinen Weg allein gehen, wollte keiner Schule, keiner Gruppe angehören."

Durchbruch mit "Der junge Lord"

Der große Durchbruch kam 1965 mit der Oper "Der junge Lord". Damals lebte Henze schon längst in seinem Traumland Italien und war in künstlerischer Leidenschaft für Ingeborg Bachmann entbrannt. Die Oper entstand in Zusammenarbeit mit der Dichterin. Ein Jahr später wurden "Die Bassariden" in Salzburg bejubelt. Zuvor hatten schon "Boulevard Solitude" (1952), "König Hirsch" (1956) und "Der Prinz von Homburg" (1960) Henzes Ruf als Opernkomponist gefestigt. Sein Stil orientierte sich an Strawinsky, Hindemith und Schönberg - aber auch Elemente des Jazz, der Unterhaltungs- und der Barockmusik nutzte er.

"Genie der Wandlungsfähigkeit" und "Talentreichster seiner Generation" lauteten die Titel, die ihm Kritiker gaben. Andere stuften ihn als "Postmodernen" ein, als "Einzelgänger der Moderne". Immer wieder tat er sich mit Autoren zusammen, 1973 mit Hans Magnus Enzensberger für "La Cubana", in der er seine desillusionierten Vorstellungen vom Kommunismus auf Kuba reflektierte.

Oratorium für Che Guevara

Seit dieser Zeit gilt Henze auch als "politischer Künstler". Seine Kunst wolle er in den Dienst der Gesellschaft stellen, der Veränderung, der Revolution, meinte er einst. Es war der Geist der Studentenbewegung, die ihn damals erfasste, und wie immer duldete er kein Mittelmaß: Er widmete Che Guevara sein Oratorium "Das Floß der Medusa".

Die Uraufführung in Hamburg wurde zum Skandal: Der RIAS-Chor weigerte sich, unter einer roten Flagge zu singen, es kam zu Tumulten, die Polizei griff ein. Das Konzert wurde für beendet erklärt, bevor ein einziger Ton erklungen war. So war das damals. Im der nächsten Saison wird das Werk von den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle aufgeführt - so ändern sich die Zeiten.

Symphoniker Henze

Henze, um den der Musikbetrieb nach diesem Skandal lange einen Bogen machte, feierte weitere Erfolge: 1990 das Musikdrama "Das verratene Meer", 1993 in Boston die Uraufführung seiner 8. Symphonie. An internationaler Anerkennung fehlte es Henze längst nicht mehr. Später folgten noch zwei weitere Symphonien. "Damit ist mein Beitrag zur Gattung der Symphonie abgeschlossen." Zum Geburtstag gab es ein Konzert in Rom. Die Neufassung von "Das verratene Meer" hat am 26. August bei den Salzburger Festspielen und am 31. August in der Berliner Philharmonie Premiere.

Kein deutscher Komponist wird heute mehr gefeiert als Henze. Wirklich beeindruckt ihn das nicht, schon vor längerem meinte er einmal lakonisch: "Es sind auch schon Komponisten sofort in Vergessenheit geraten, sobald sie abgesegelt sind."

Mehr zu allen Ö1 Übertragungen von den Salzburger Festspielen in Ö1 - Der Festspielsender

Hör-Tipps
Zeit-Ton, Freitag, 30. Juni 2006, 23:05 Uhr

Aus dem Konzertsaal, Freitag, 1. September 2006, 23:05 Uhr

Buch-Tipps
Michael Kerstan, Clemens Wolken (Hg.), "Hans Werner Henze - Komponist der Gegenwart", Henschel Verlag, ISBN 3894875364

Ingeborg Bachmann, Hans Werner Henze, "Briefe einer Freundschaft", Piper, ISBN 3492046088

Links
Schott - Hans Werner Henze
Wikipedia - Hans Werner Henze