... am Rande des Fußballfelds

Spielwitz ...

Der Filmemacher Jafar Panahi hat einen Film zur Fußball-WM gemacht. "Offside" berichtet über das Stadionverbot für Frauen im Iran. Und schießt den Mullahs auf sportlich-komödiantische Weise ein Tor - auch in die Welt.

Nahezu die gesamte Intelligenzia dieses Erdballs macht sich in diesen Tagen bekanntlich und nicht zu übersehend und schon überhaupt nicht überlesend über den Fußball her. Und versucht das zugegeben komplexe Fußballspiel - damit hat sich's dann aber auch schon wieder - so zu überhöhen, auf dass man übersehen soll und annehmen muss, die philosophische Hyänen-Meute dürfte mit dem Ball selbst nichts anfangen können. Sonst würden sie anstatt fünf Bücher in der Woche zu lesen und zu renzensieren oder eben über Fußball zu schreiben, selbst den Ball spielen. Natürlich schnell ab-spielen. Denn nur so kommt ein richtig gutes Fußballspiel zu Stande.

Haben Sie das gewusst, werter Fußball-Philosoph? Das aber werter Leser ist nur als - durchaus unvermeidlicher - Prolog zu dem nun Folgenden zu verstehen, den ich mir nicht und nicht verkneifen konnte. Aber ist doch wahr.

Der Iran und sein Bild

Wer in den letzten Wochen und Monaten Nachrichten schaute, - noch dazu als Fußballer, der weiß, dass der Iran zur Kick-WM kommen wird - hätte denken können, dass dieses Land voller Fanatiker ist, das das Atombomben-Produzieren nur deshalb unterbricht, um westliche Zeitungen nach anstößigen Karikaturen zu untersuchen. Dem ist natürlich nicht so.

Jüngst rastete ein mir gut befreundeter österreichischer Künstler völlig aus: "Unglaublich, welches Bild man in den westlichen Medien vom Iran zeichnet!" Er war gerade von einer mehrwöchigen Iran-Reise zurückgekehrt und meinte, so etwas faszinierend Hochständiges habe er überhaupt noch nirgendwo erlebt. Und der Mann hat - glauben Sie mir - sein halbes Leben in der Fremde verbracht. Aber ich schweife schon wieder ab.

Sport-Stück als Gegenrevolution
Dank "Offside", wie gesagt, dem Film des Meister-Regisseurs Jafar Panahi (wie es im Kino-Ankündigungstext heißt), bekommen wir nun bestätigt, was wir ohnehin geahnt haben - dass nämlich die Mehrheit der Iraner sich ihren Fanatismus für wichtigere Anlässe behält: für Fußball etwa. Und statt brennender dänischer oder amerikanischer Flaggen schwenkt auch der Perser lieber seine Landesfahne im Stadion. Blöd nur, zumindest für die Gestrigen im Lande, dass auch die Perserin das gerne tun würde. In den deutschen Stadien habe ich die letzten beiden Wochen recht ausgelassene weibliche Fans gesehen.

Rote Karte von der Sittenpolizei
Panahis Film - übrigens sogar mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet - erzählt von den fast schon ans Absurde grenzenden Mühen, die junge Iranerinnen auf sich nehmen, um das Stadionverbot für Frauen zu umgehen. Für das entscheidende WM-Qualifikationsspiel gegen Bahrain verkleiden sie sich als Männer, kaufen teure Schwarzhändlerkarten und laufen dann doch immer wieder den kontrollierenden Soldaten in die Falle, welche sie nach dem Spiel der Sittenpolizei (!) übergeben.

Diverse mir nahe Menschen werden wohl in den nächsten Tagen das Gleiche mit mir versuchen, denn ich bin recht unansprechbar. Fußball-WM ist Ausnahmezustand. Nicht nur zeitmäßig. Sondern auch psychologisch. Im Gegensatz zu den Mannschaften auf dem Feld, ist man beim Schauen ganz allein. In sich selbst und mit sich selbst zufrieden. Und das ist auch gut so.

Fußball-Gefängnis
Bis nach dem Spiel müssen also Irans ertappte weibliche Fußballfans außerhalb des Stadions hinter Gittern warten. Von der Anreise des ersten Mädchens, ihrer Festnahme am Eingang, über die quälenden 90 Minuten, in denen die Frauen das Geschehen auf dem Rasen nur durch die Mauerschau der teilweise ziemlich ahnungslosen Soldaten erfahren, bis zur Busfahrt aufs Polizeirevier, die von den Siegesfeiern gestoppt wird.

Spielwitz als Taktik
Die Mädchen/Frauen sind ganz unterschiedliche Charaktere: Es gibt die harte rauchende Rebellin, die am liebsten selbst zur Armee gehen würde, die Heulsuse, die Sportlerin, die selbst Fußball spielt ("naturgemäß" nur vor weiblichem Publikum) und die Trauernde, die hier ist, um ihres toten Freundes zu gedenken. Die Soldaten vom Lande sind dem Witz dieser selbstbewussten Teheranerinnen kaum gewachsen. Noch mehr überfordert sie aber die Absurdität der Situation.

Ticket zur WM
Panahi hat auch das entscheidende Qualifikationsspiel der Iraner gegen Bahrain im Film-Kasten. Allerdings nur den Rand des Spielfelds sozusagen. Das Spiel selbst ist ein ballesterisches Hörspiel. Am Ende des Matches, Iran hat das entscheidende 1:0 geschossen, mischen sich die weiblichen Fans, Wunderkerzen in den Händen, in die jubelnden Massen in den Straßen. Gezeigt werden darf Jafar Panahis Film im Iran freilich nicht. Doch wir dürfen ihn schauen - zurzeit im heimischen Kino. Prädikat: Besonders wertvoll. Also liebe Fußball-Philosophen: Auf geht's!

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