Kultur und Lebensweise eines eroberten Volkes
Die Wolkenmenschen von Lemyebamba
Als Landarbeiter im Jahre 1997 im Nordosten Perus einige Grabmausoleen öffneten, dachte niemand daran, dass es sich um einen der wichtigsten archäologischen Funde des Landes handeln sollte: Mumien von Chachapoya-Indianern, den "Wolkenmenschen".
8. April 2017, 21:58
Die Hochebene Laguna de los Condores im Nordosten Perus, 1996. Ein Landwirt rodet einen Teil des Waldes nahe einem See, um neues Weideland zu gewinnen - nicht ahnend, dass er damit das Mikroklima der Region verändert - und damit einen der wichtigsten archäologischen Funde des Landes ermöglicht.
Die dichten Nebelschwaden, die seit jeher in den Wäldern und über dem See hangen - die der Region auch den Namen "Wolkenwald" gaben - lösen sich teilweise auf und geben zum ersten Mal wieder die Sicht über das Wasser frei. Auf den steilen Hügelhängen am anderen Ufer entdecken drei Hirten Mausoleen der Chachapoya, der "Wolkenmenschen", jener Bevölkerung, die bis vor 500 Jahren in der Gegend gelebt hatte.
Schatztruhe für die Wissenschaft
Die Mausoleen in der Laguna de los Condores erwiesen sich als unglaubliche Schatztruhe für die Wissenschaft: über 200 gut bis perfekt erhaltene menschliche Mumien wurden entdeckt, einige Tiermumien und diverse Kultobjekte. Außerdem tauchte die größte Ansammlung an Khipus auf, die jemals gefunden wurde.
Khipus sind Knotenschnüre, die die indigene Bevölkerung Südamerikas als Speichermedium benutzte. Insgesamt war es der bisher größte Fund kultureller Überreste einer ausgestorbenen indigenen Gruppe, der Chachapoya.
Erobert und assimiliert
Die peruanische Archäologin Sonia Guillén leitete die Grabungen, vom ersten Tag an in der Hoffnung, endlich mehr über die bis dahin relativ unbekannte Welt der Chachapoya zu erfahren. Im 9. und 10. Jahrhundert hatten sie sich im Wolkenwald angesiedelt, rund 500 Jahre später wurden sie von den Inka erobert und assimiliert - ab da sprechen die Wissenschafter von den Chachapoya-Inka, bis schließlich die grausame Kolonialpolitik und die Krankheiten, die die Spanier brachten, dafür sorgten, dass sie ausstarben.
Kokablätter und andere Rohstoffe
Die Chachapoya hatten eine weit entwickelte Medizin. Sie kannten und nutzten viele Pflanzen, nicht nur zur Heilung, sondern auch für Kulthandlungen, und, wie manche sagen, Hexerei, erzählt Sonia Guillén. Hinweise darauf finden sich bei den Relikten, mit denen die Mumien begraben sind. Und sie betrieben eine reichhaltige Landwirtschaft.
Für die Inkas wurden die Chachapoya hauptsächlich wegen der Kultivierung von Koka interessant. Denn die Koka-Blätter waren für diverse rituelle und kulturelle Handlungen wichtig, und die Inkas brauchten immer mehr davon. Außerdem erhielten sie durch die Eroberung des Gebietes auch Zugang zu anderen Pflanzen mit medizinischer Wirkung, dem Pfefferstrauch usw..
Auf den Spuren eines Volkes
Die über 200 Mumien, die in der Laguna de los Condores gefunden wurden, stammen aktuellen Altersbestimmungen zufolge aus der gesamten Zeit der Besiedlung der Gegend durch die Chachapoya.
Sie sind Überreste von Frauen, Männern und Kindern, die zwischen dem 9. und 16. Jahrhundert dort gelebt haben. Wahrscheinlich gehörten sie einer gesellschaftlichen Oberschicht an, vermutet Sonia Guillén. Weshalb es so schwierig ist, Genaueres über ihr Leben und ihre Kultur zu erfahren, liegt unter anderem daran, dass es keinerlei schriftliche Aufzeichnungen gibt.
Für die Archäologen hieß das, sich aus diversen kleinen Funden Reime zur Geschichte vor der Eroberung durch die Spanier zu machen. Was die Chachapoya betraf, hatte man bis 1997 für diese archäologische Detektivarbeit nicht einmal organische Indizien, sondern konnte sich nur auf Keramiken und architektonische Funde stützen.
Mit österreichischer Hilfe
Als die Mumien und die Relikte 1997 geborgen wurden, setzte sich Sonia Guillén mit Horst Seidler in Verbindung. Der Anthropologe von der Universität Wien hatte mit seiner Gruppe ein paar Jahre zuvor die Eismumie Ötzi untersucht und war so international bekannt geworden.
1998 reiste er nach Leymebamba. Von beiden Anthropologen wurde das Projekt geboren, die Mumien als kulturelles Erbe in der Region in einem vom österreichischen Wissenschaftsministerium finanziell unterstützten Kulturzentrum zu erhalten. Sonia Guillén ist heute die Direktorin des Museums in Leymebamba.
Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 19. Juni 2006, 19:05 Uhr
Download-Tipp
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Veranstaltungs-Tipp
"Das Geheimnis der Wolkenmenschen", bis 30. Juli 2006, Technisches Museum Wien,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (20 Prozent)
Link
Technisches Museum Wien